Flugblatt-Affäre:Das große Schweigen nach dem Aiwanger-Sturm
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Nach dem Flugblatt-Wirbel und vor der Bayern-Wahl kämpft Freie-Wähler Chef Aiwanger ums politische Überleben. Aber auch Markus Söder hat ein Problem. Beide schweigen erstmal.
Sechs Wochen vor der bayerischen Landtagswahl überschatten Antisemitismusvorwürfe gegen Aiwanger den Wahlkampf.
Quelle: dpa
Am Tag nach dem bislang wohl schwersten Sturm seiner politischen Karriere steht Hubert Aiwanger in einer Halle im mittelfränkischen Ansbach - der Rinderzuchtverband Franken feiert 125-jähriges Bestehen. Auf dem Weg zur Tribüne schüttelt der Chef der Freien Wähler Hände, macht mit Verbandsvertretern Selfies. Zehn Minuten spricht er, nach 30 Minuten ist er wieder weg. Zum Sturm vom Vortag sagt er kein Wort.
"Hier steht Aussage gegen Aussage":
Da hatte die "Süddeutsche Zeitung" berichtet über Vorwürfe an Aiwanger wegen eines antisemitischen Flugblatts, das vor mehr als 30 Jahren an dessen Schule verteilt worden sein soll. Ein Sprecher Aiwangers wird dort zwar mir den Worten zitiert, dieser habe "so etwas nicht produziert" - und beklagt eine "Schmutzkampagne".
Dabei schien die Landtagswahl schon gelaufen. So stabil liegt die amtierende Koalition aus CSU und Freien Wählern in allen Umfragen, dass an einer Fortsetzung bis dato kein Zweifel bestand.
Zumal beide Seiten immer wieder erklärt haben, das Bündnis auch nach der Wahl am 8. Oktober fortsetzen zu wollen. Nun steht für 24 Stunden das politische Bayern urplötzlich Kopf.
Darum geht es in der Aiwanger-Affäre:
Vorwürfe wiegen schwer
Ministerpräsident Markus Söder, die Opposition, aber auch mehrere Mitglieder der Bundesregierung fordern Aufklärung. Die Vorwürfe wiegen so schwer, dass die politische Zukunft Aiwangers und die Zukunft der Koalition mit der CSU quasi am seidenen Faden hängen.
Und was würde dann - sollte Aiwanger über die Affäre stürzen - aus den Freien Wählern, die quasi eine reine One-Man-Show sind? Sie sind auf ihren Frontmann mit dem polternden Auftreten und dem unverkennbaren Dialekt, dem in der Vergangenheit immer wieder Populismus vorgeworfen wurde, bayern- und auch bundesweit angewiesen.
Die CSU will in Bayern weiterregieren. Als Partner kommen wohl nur die Freien Wähler infrage, doch das Verhältnis zwischen Ministerpräsident Söder und deren Chef Aiwanger ist angespannt.22.07.2023 | 4:22 min
Mit wem soll Söder regieren?
Freie Wähler stehen zum Großteil zu Aiwanger
Andere Freie Wähler kommen aus der Deckung, verteidigen Aiwanger. Und wähnen einen gezielten Angriff auf die Partei kurz vor der Wahl. Andererseits: Aiwanger räumt in seiner Erklärung ja auch ein, dass bei ihm "ein oder wenige Exemplare" des abstoßenden Pamphlets in der Schultasche gefunden worden seien.
Ob er "einzelne Exemplare" weitergegeben habe, daran kann er sich nach eigenen Angaben heute aber nicht mehr erinnern.
Klar ist also, das sagen nicht nur Aiwanger-Kritiker: Er wird mit dem Flugblatt weiter in Verbindung gebracht werden - auch wenn er es vielleicht nicht selbst verfasst hat. Schon das ist für einen Spitzenpolitiker ein Makel. Inwiefern Aiwanger für die Verbreitung zumindest mitverantwortlich sei, werde in Gänze aber nicht aufzuklären sein.
SPD-Chefin fordert Konsequenzen für Aiwanger:
Wackelt nun die Koalitionszusage der CSU?
Tatsächlich sind die Folgen der dramatischen 24 Stunden auch mit etwas Abstand noch unabsehbar. Welche Folgen könnte es für den Wahlausgang geben, insbesondere für Aiwanger? Und wackelt vielleicht doch die klare CSU-Koalitionsaussage zugunsten der Freien Wähler? Die Politologin Jasmin Riedl von der Universität der Bundeswehr in München meint:
Riedl weiter: "Meine Beobachtung ist: Er hat eine fast schon eingeschworene Unterstützerschaft. Und die wird auch weiter fest zu ihm halten." An seinen Zustimmungswerten werde sich sicher nichts ändern. "Die unterstützen Aiwanger, weil er so ist, wie er ist", sagt Riedl.
Furcht, Aiwanger könnte sogar profitieren
Beim Koalitionspartner CSU fürchten einige sogar, dass Aiwanger am Ende profitieren könnte, dass es ein oder zwei Prozentpunkte mehr werden. Weil das mit dem Flugblatt so lange her sei. Weil derart in seiner Vergangenheit gewühlt werde, das empfänden manche als unfair. Und weil er den eigenen Bruder bis zuletzt nicht verraten habe.
Es ist eine verzwickte Lage für Söder: Er hat sich so fest auf die Freien Wähler festgelegt und ein Bündnis mit den Grünen unter viel Jubel seiner eigenen Partei so oft und so klar ausgeschlossen, dass er politisch quasi an Aiwanger gekettet ist.
Politologin Riedl:
Quelle: Christoph Trost und Sebastian Schlenker, dpa
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Stefan Leifert, München