Nach den Landtagswahlen: Warum so viele die AfD gewählt haben

    Nach den Landtagswahlen:Warum so viele die AfD gewählt haben

    ZDFheute Update - Jan Schneider
    von Jan Schneider
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    Die AfD hat in Sachsen und Thüringen große Wahlerfolge eingefahren. Die Ergebnisse als "Protestwahl" zu bezeichnen, reicht lange nicht mehr. Was macht die AfD so erfolgreich?

    ZDF-Korrespondentin Melanie Hack zugeschaltet aus Erfurt
    Die AfD könne die anderen Parteien vor sich hertreiben, erklärt ZDF-Landeskorrespondentin Melanie Haack. Sie könne unter anderem die Ernennung von Verfassungsrichtern blockieren. 02.09.2024 | 7:58 min
    Die AfD hat beachtliche Erfolge bei den Landtagswahlen eingefahren. Die Partei ist in Thüringen stärkste Kraft, in Sachsen verfehlt sie nur um einen Sitz die sogenannte Sperrminorität von mehr als einem Drittel der Abgeordneten. Nun stellen sich viele mal wieder die Frage: Woher kommt der Erfolg der rechtsextremen Landesverbände?

    Anhänger der AfD sind keine "Protestwähler" mehr

    Wahlentscheidungen sind sehr komplex und nur bedingt rational zu erklären, dennoch lassen sich mehrere Gründe für das AfD-Ergebnis finden. Eine Zeit lang wurden gute Wahlergebnisse der Partei als "Protestwahl" oder als "Denkzettel für 'Die da oben'" bezeichnet. Das entspreche schon lange nicht mehr der Realität, meint der Politikwissenschaftler Dr. Wolfgang Schroeder von der Universität Kassel, der früher Mitglied der SPD und der SPD-Grundwertekommission war.
    Der Hauptgrund für den Erfolg der AfD sei vielmehr, dass sich viele Menschen von den anderen Parteien nicht mehr repräsentiert und mit ihren Bedürfnissen und Sorgen wahrgenommen fühlen. Gerade in Ostdeutschland sei mittlerweile bei vielen Menschen eine tiefe Loyalität gegenüber der AfD entstanden.

    Die Leute wählen die AfD gar nicht mehr konjunkturell, weil sie die Regierung schlecht finden, sondern weil sie sich als Teil des Milieus stark mit der Partei identifizieren.

    Dr. Wolfgang Schroeder, Universität Kassel

    Der Soziologe Dr. Wilhelm Heitmeyer von der Universität Bielefeld sieht in dem Narrativ der "Protestwähler" ebenfalls eher eine Selbstberuhigungsformel für die etablierten Parteien und einen "politischen Selbstbetrug".
    Wahlparty AFD
    NANO vom 2. September: Sachsen und Thüringen haben gewählt. Das Ergebnis überrascht nicht. Jetzt werden Parteien zusammen regieren, die eine völlig gegensätzliche Politik vertreten. 02.09.2024 | 28:30 min

    Die AfD muss keine Lösungen anbieten, solange sie zuhört

    Es sei nicht entscheidend, ob die AfD Lösungen für die Probleme und Sorgen der Wähler anbieten kann, so Schroeder. Solange sie den Menschen das Gefühl gibt, sie ernst zu nehmen und sich zu kümmern, bleibt die Loyalität. Dieses Kümmern äußere sich aktuell meist darin, dass die AfD die anderen Parteien in Regierungsverantwortung vor sich hertreibt:

    Die AfD ist eine Erpressungspartei, das heißt, sie ist in der Lage, den Zorn der Bevölkerung so stark zu mobilisieren und zu artikulieren, dass daraus eine politische Botschaft entspringt.

    Dr. Wolfgang Schroeder, Universität Kassel

    Gleichzeitig sei die AfD sehr nah an ihrer Wählerschaft. Im Netz hat die Partei ein Vielfaches der Reichweite von CDU, SPD und Co..
    Mann mit BSW T-Shirt
    Wie geht es nun weiter nach der Landtagwahl in Sachsen? AfD und CDU sind nahezu gleich auf, die Linken verfehlen die 5%-Hürde. Eine Neuauflage der schwarz-rot-grünen Regierung ist damit unmöglich.02.09.2024 | 3:30 min

    Die Botschaften der AfD profitieren von Unzufriedenheit

    Generell gibt es in den östlichen Bundesländern seit der Wiedervereinigung eine ausgeprägte Unzufriedenheit, die nicht nur, aber auch ökonomisch bedingt ist. Viele Ostdeutsche fühlen sich von der alten Bundesrepublik nicht ernst genommen und als Bürger zweiter Klasse, meint Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen. Die AfD könne diese Unzufriedenheit mit den Regierenden aktuell am besten kanalisieren:

    Dass die AfD jetzt so gute Ergebnisse erzielen kann,  hängt ganz zentral mit der extremen Unzufriedenheit mit der Arbeit der Bundesregierung und den Ampel-Parteien zusammen.

    Matthias Jung, Forschungsgruppe Wahle

    Die Menschen im Osten hätten zu DDR-Zeiten zudem die Erfahrung gemacht, dass sie machtlos gegen ihre Regierung waren. Auch jetzt würden viele eine spürbare Reaktion der Regierung auf ihren offensichtlich zusammengebrochenen Rückhalt in der Mehrheit der Bevölkerung vermissen, so Jung. Das führe zu einer weiteren Radikalisierung des Wahlverhaltens.
    Daniela Sonntag
    Da keine Partei mit der AfD koalieren möchte, könne "Mario Voigt von der CDU jetzt nur die anderen Parteien irgendwie einbinden", so Daniela Sonntag, ZDF-Reporterin in Erfurt.02.09.2024 | 3:32 min

    Die AfD "emotionalisiert Probleme als Kontrollverlust"

    Genau an diesem Gefühl der Machtlosigkeit setzt die AfD an, meint auch Soziologe Heitmeyer, indem Probleme emotionalisiert und als Kontrollverlust dargestellt werden. Sei es Corona, der Krieg in der Ukraine oder der Versuch, zu einer gendergerechten Sprache zu kommen. Diesem Kontrollverlust und der Unsicherheit setzte die AfD zum Beispiel das "Deutschsein" als Identitätsanker entgegen und sei damit sehr erfolgreich.
    Heitmeyer bezeichnet dieses politische Konzept der AfD als "Autoritären Nationalradikalismus", in dem traditionelle Gesellschaftsmodelle und bestehende Hierarchien bewahrt werden sollen.
    Prof. Karl-Rudolf Korte
    "Ich glaube nicht, dass die Ampel hört, was Wählerinnen und Wähler in den Ländern zum Ausdruck gebracht haben", erklärt Prof. Karl-Rudolf Korte, Politikwissenschaftler. 02.09.2024 | 4:28 min

    Die Einstufung als "rechtsextrem" schreckt nicht ab

    Bleibt noch die Frage, warum so viele die AfD wählen, obwohl sie in beiden Bundesländern als "gesichert rechtsextrem" eingestuft wird? Nach Ansicht der Experten schreckt dieses Label kaum noch jemanden ab. Teilweise wird die Einstufung durch den Verfassungsschutz sogar als unlautere Einmischung des Staates in den Parteienwettbewerb wahrgenommen und macht die AfD sogar noch attraktiver für bestimmte Wähler*innen. Die Etikettierung als rechtsextrem habe vor vielen Jahren bei der NPD (heute "Die Heimat") eine abschreckende Wirkung gehabt, heute sei dieser Effekt aber zu vernachlässigen.
    Begrenzen könne den Vormarsch der AfD nur ein moderater, aber spürbarer Politikwechsel auf Bundesebene, meint Wahlforscher Jung. Dieses Signal scheint aber bisher in Berlin nicht angekommen zu sein
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