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Personalnot bei Streitkräften:Ausländische Söldner für Portugals Armee?
von Tilo Wagner
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Schlechte Arbeitsbedingungen und kaum Karrierechancen führen zu einer Kündigungswelle bei Portugals Militär. Das Land sucht nach neuen Wegen, um die Personalnot zu bekämpfen.
Die Reihen lichten sich: Portugal kämpft gegen Personalmangel im Militär. (Symbolbild)
Quelle: picture alliance / AA
Die Zahlen sprechen für sich: Innerhalb von zwölf Jahren haben die portugiesischen Streitkräfte 11.000 Soldat*innen und damit fast ein Drittel ihres Bestandes verloren. Allein im laufenden Jahr reichten bislang 738 Militärs ihre Kündigung ein. Darunter auch ein Soldat, der unter dem Vorbehalt der Anonymität mit dem ZDF sprach. Er war in einer Armee-Kaserne vor den Toren Lissabons stationiert:
Der Mann hat im März die Streitkräfte verlassen und will sich jetzt zum Polizisten umschulen lassen.
Situation des Militärs bedeutet Imageschaden für Portugal
Neben schlechten Unterbringungen in den Kasernen, fehlenden Aufstiegsmöglichkeiten und schlechter Bezahlung kritisieren die Soldaten vor allem die fehlende Wartung des militärischen Geräts. Im März hatten sich 13 Marinesoldaten geweigert, das Patrouillenboot "Mondego" zu besteigen, weil angeblich Wasser eingelaufen war. Sie wurden umgehend wegen Befehlsverweigerung angeklagt. Zwei Wochen später musste die "Mondego" wegen eines Motorschadens eine Mission abbrechen.
Für die portugiesische Regierung bedeutet dies einen erheblichen Imageschaden. Das Gründungsmitglied der Nato legt Wert darauf, ein zuverlässiger Bündnispartner zu sein. Portugal war einer der ersten Mitgliedstaaten, der im Frühjahr Leopard-2-Kampfpanzer an die von Russland angegriffene Ukraine auslieferte.
Die Nato übt im Litauischen Rukla den Ernstfall. Teil der NATO Übung: Leopard 2-Panzer vom gleichen Typ, wie ihn Deutschland auch an die Ukraine sendet, um gegen russische Invasionstruppen zu kämpfen.30.05.2023 | 3:05 min
Im Frühsommer führten portugiesische F-16-Kampfjets eine Nato-Mission im Rahmen der Baltikum-Luftraumüberwachung an. Insgesamt stellte Portugal im Jahr 2022 über 2.500 Soldat*innen für internationale Missionen der Nato, der EU und der Vereinten Nationen ab.
Politologe über Personalmangel: Lösung muss gefunden werden
Doch Portugals internationales Engagement könnte jetzt gefährdet sein, sagt Felipe Pathé Duarte, Politologe und Sicherheitsexperte an der Lissabonner Universität NOVA:
"Für diese Situation muss unbedingt eine Lösung gefunden werden, sonst kann Portugal seinen diplomatischen und geopolitischen Verpflichtungen nicht gerecht werden", ergänzt Duarte.
Personalmangel ist auch in Portugals Gesundheitswesen ein großes Problem:
Ausländische Rekrutierte im Militär: Regierung will offene Debatte
Eine Idee, wie die Krise überwunden werden kann, wird jetzt in der Öffentlichkeit diskutiert. Der militärstrategische Think Tank GREI, der sich insbesondere aus ehemaligen portugiesischen Generälen zusammensetzt, hat auf die Möglichkeit verwiesen, ausländische Bürger*innen für die Streitkräfte zu gewinnen, insbesondere Migrant*innen aus portugiesischsprachigen Ländern wie Brasilien oder den ehemaligen portugiesischen Kolonien in Afrika.
Die Zahl der Eingewanderten hat sich in Portugal in den vergangenen sechs Jahren verdoppelt. Allein 250.000 Brasilianer*innen leben mittlerweile in dem südwesteuropäischen Land.
Als Folge von ausländischen Milliardeninvestitionen in den Immobilienmarkt ist Wohnen für viele Portugiesen inzwischen unbezahlbar.01.04.2023 | 1:36 min
Auch Wohnungsnot ist in Portugal ein großes Thema:
In der regierenden Sozialistischen Partei ist die Idee, die Streitkräfte für ausländische Rekrut*innen zu öffnen, nun aufgegriffen worden. Der Vize-Fraktionsvorsitzende der Sozialisten, Francisco César, sagte gegenüber der Wochenzeitung "Expresso", dass eine freie und offene Debatte mit der Zivilgesellschaft notwendig sei, um einen breiten und weitreichenden Konsens der politischen Kräfte zu erreichen.
Vorschlag bräuchte Zwei-Drittel-Mehrheit in Portugals Parlament
Wenn der Vorschlag tatsächlich umgesetzt werden soll, muss zuvor mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament die portugiesische Verfassung geändert werden.
Dazu wollen es viele Militärs aber gar nicht erst kommen lassen, so auch António Lima Coelho, Präsident des Verbandes der Unteroffiziere und Soldaten: "Wir sollten nicht darauf abzielen, dass wir eine Gruppe von Söldnern für gewisse Missionen des portugiesischen Militärs verpflichten.
Coelho verweist dagegen auf die Notwendigkeit, das Verteidigungsbudget nachhaltig anzuheben, um die Arbeitsbedingungen für zukünftige portugiesische Soldat*innen deutlich zu verbessern. In wenigen Wochen wird zumindest darüber Klarheit herrschen, ob die sozialistische Regierung das genauso sieht: Finanzminister Fernando Medina will in Kürze seinen Haushaltsentwurf für 2024 vorlegen.
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