Erste Parlamentssitzung in Polen:Wie die PiS den Umschwung weiter hinauszögert
von Natalie Steger, Warschau
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In Polen hat die Opposition die Mehrheit gewonnen, fest entschlossen, die Macht zu übernehmen. Doch die Regierungspartei PiS klebt weiter an ihren Stühlen. Wie geht es nun weiter?
Erste Sitzung des neuen Parlaments in Polen. Die Regierungsbildung könnte dauern.
Quelle: dpa
Eine Kamera fängt es ein, wie nach der Wahl ein besonderer Firmen-Lkw Richtung Kulturministerium abbiegt. "Wir vernichten Dokumente, Festplatten, CDs", steht auf dem Wagen. Seit der Wahl vor vier Wochen spottet Polens Opposition über ausgiebige Schredderei von Akten durch die Noch-Regierung zur vermeintlichen Vertuschung. Ob wahr oder nicht - die PiS spielt auf Zeit.
Staatspräsident Andrzej Duda, ein PiS-Mann, hat die erste Sejm-Sitzung so spät wie möglich angesetzt. Er eröffnet das Treffen und lobt die hohe Wahlbeteiligung am 15. Oktober von mehr als 74 Prozent. Vor allem aber lobt er die vergangenen acht Jahre der nationalkonservativen Regierung.
Der rechtskonservativen PiS-Partei fehlt nach den Wahlen in Polen ein Koalitionspartner, die Bildung einer Regierung scheint für sie fast unmöglich. Trotzdem hat Polens Präsident Duda den bisherigen Regierungschef Morawiecki mit der Regierungsbildung beauftragt.07.11.2023 | 2:12 min
Duda wird Veto-Recht als Präsident nutzen
Selbst wenn Oppositionsführer Donald Tusk - was sehr wahrscheinlich ist - am Ende dann doch Ministerpräsident von Polen wird, wird Duda seine Veto-Macht bei Gesetzen durchaus nutzen.
Ordnungsgemäß wird der nun zurückgetretene Ministerpräsident, Mateusz Morawiecki, am Abend von Duda mit der Regierungsbildung beauftragt. Dann hat Morawiecki 14 Tage Zeit, sein Kabinett im Parlament zur Abstimmung zu stellen. Doch das ist zum Scheitern verurteilt.
Polen: Opposition fest entschlossen
Denn die Opposition, ein Dreierbündnis von Donald Tusks liberalkonservativer Bürgerkoalition, dem konservativen Dritten Weg und einem Linksbündnis Lewica, vereint zusammen 248 von 460 Sitzen im Parlament und hat damit die absolute Mehrheit.
Und sie hat bereits am vergangenen Freitag einen Koalitionsvertrag vorgelegt, sich nicht auseinander dividieren lassen und ist weiterhin fest entschlossen, in Polen die Macht zu übernehmen.
"Die polnische Opposition hat einen historischen Sieg davongetragen", so Rolf Nikel, ehemaliger deutscher Botschafter in Polen. Dennoch "muss man sich auf einen langwierigen Formierungsprozess einstellen."16.10.2023 | 4:07 min
Ehemaliger Ministerpräsident: Was plant Morawiecki?
Doch Morawiecki hofft entweder tatsächlich, es noch einmal zu schaffen, oder er hat längst andere Pläne. Warum sonst sollte er sich das fast demütigende Kleben an der Macht antun? Durch den Zeitgewinn könnten politische Freunde versorgt, Stiftungen gegründet, tatsächlich Akten vernichtet werden.
Und Morawiecki selbst könnte versuchen, den Übervater der Nationalkonservativen, Jaroslaw Kaczynski, als PiS-Parteichef zu beerben. Kaczynski ist 74 und nicht wenige lasten ihm den Verlust der absoluten Mehrheit an. Die fast religiöse Loyalität, die ihm bislang galt, könnte nachlassen.
Beachtlich war auch die Antwort des Präsidentenberaters auf die Frage eines Journalisten, ob Kaczynski in Rente gehen soll. Es war ein kurzes, klares: "Ja!"
PiS-Parteichef: "deutsche Unverschämtheit"
Dabei galt Duda als Kaczynskis treuer Mann, unterschrieb PiS-Gesetze zumeist artig, was Duda den Spitznamen Kugelschreiber eingebracht hatte.
Kaczynski wirkte während der Parlamentssitzung im Sejm heute leicht abwesend, die Augen halb geschlossen, das Klatschen fast mechanisch. Doch bei seinen anti-deutschen Tönen bleibt er unbeirrt und sagt, Tusk sei der Mann Deutschlands und: "Wie viel Arroganz gab es, wie viel deutsche Unverschämtheit seitens der Bürgerplattform?"
Eine polnische Großfamilie sieht die traditionellen Werte im Land in Gefahr, während eine linksliberale Bürgermeisterin in Sorge um die Bildungspolitik ist.16.10.2023 | 4:59 min
Nationalkonservative lösen sich langsam von der Macht
Trotz des Klebens an der Macht scheinen auch die Nationalkonservativen zu ahnen, dass der Wechsel, auch wenn es noch Wochen dauern könnte, wohl besiegelt ist. So entschuldigt sich Morawiecki in der ersten Sejm-Sitzung für Fehler der letzten acht Jahre.
Und Duda erntet etwas Gelächter mit seiner Bemerkung, man solle sich daran erinnern, "dass in einer Demokratie diejenigen, die heute an der Macht sind oder morgen an der Macht sein werden, sich nach einiger Zeit in der Opposition wiederfinden werden."
Erste Abstimmung: Klares Votum für Opposition
Doch Polens Opposition ist fest entschlossen, die Regierung zu stellen und - wie sie es nennen - "abzurechnen".
In der ersten Abstimmung des neuen Parlaments - die Wahl zum Sejmmarschall, das höchste Amt im Sejm - hat der Kandidat der Opposition, Szymon Holownia, klar gewonnen: Mit 265 Stimmen, nötig waren nur 231. Fazit: Die Opposition steht fest zusammen.
Natalie Steger ist Leiterin des ZDF-Studios Warschau.