Mélanie Joly: Kanadas Außenministerin zu Trump und US-Zöllen

Interview

Außenministerin zu Trump-Zöllen:Kanada sieht "eine Menge Naivität aus Europa"

|

"Wir verstehen, wie die Amerikaner denken", sagt Kanadas Außenministerin Joly im Interview. Ein Gespräch über US-Zölle, Europas Naivität - und Trumps Annexions-Phantasien.

US President Trump signs executive order in Oval Office
Zuerst verhängt Donald Trump hohe Zölle für fast die ganze Welt, dann verkündet der US-Präsident wenig später, die meisten Zölle für 90 Tage wieder auszusetzen. Wie geht die Wirtschaft damit um?15.04.2025 | 9:03 min
ZDFheute: Wie würden Sie das transatlantische Verhältnis aktuell beschreiben, Frau Ministerin?
Mélanie Joly: Ich denke, die Beziehungen zwischen Kanada und Europa sind sehr stark, und unser Ziel ist es, sie weiter zu vertiefen. Fragen wirft eher das Verhältnis zwischen den USA und dem Rest von uns auf. Ich habe schon in der Vergangenheit gesagt: Die Beziehungen zwischen Kanada und den USA werden nie wieder so sein wie zuvor. Wir waren die besten Nachbarn, die besten Verbündeten und die besten Freunde der USA. Als Präsident Trump den Handelskrieg gegen uns begann, waren wir völlig überrascht. Natürlich hat es das Vertrauen in unsere Nachbarn erschüttert.
Lastwagen überqueren die Ambassador Bridge zwischen Windsor, Kanada, und Detroit, Michigan, am ersten Tag der neuen 25 %igen Zölle von Präsident Donald Trump auf Waren aus Kanada und Mexiko am 4. März 2025 in Windsor, Kanada.
Die Reaktion kam prompt. Nach dem Inkrafttreten der US-Zölle gegen Kanada ordnete der kanadische Premier Trudeau Gegenzölle von 25 Prozent auf amerikanische Importe an.04.03.2025 | 2:30 min
ZDFheute: Vor dem Hintergrund der Trump-Zölle: Welchen Ansatz verfolgen Sie jetzt im Umgang mit der aktuellen amerikanischen Regierung?
Joly: Im Zusammenhang mit diesem Handelskrieg muss ich sagen, dass es anfangs eine Menge Skepsis und ich würde sagen, eine Menge Naivität aus Europa gab. Als Mexiko und wir in der ersten Phase dieses Handelskriegs zur Zielscheibe wurden, dachten viele, es ginge nur darum, unser eigenes Handelsabkommen neu zu verhandeln. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz habe ich damals gesagt: "Kanada ist wie der Kanarienvogel in der Kohlemine. Und ihr seid die Nächsten."

Wenn es ein Land auf der Welt gibt, das die USA wirklich versteht, dann ist es Kanada.

Mélanie Joly, Außenministerin Kanada

Wir bewegen uns im gleichen Medienumfeld, haben viele gleiche kulturelle Bezüge, viele Freunde und Familien auf beiden Seiten der Grenze. Wir verstehen, wie die Amerikaner denken. Wir wissen auch, wie wir sie beeinflussen können. Und das ist auch der Grund, warum wir uns so sehr bemühen, die amerikanische Bevölkerung umzustimmen, damit sie sich gegen Donald Trumps Zollvorschläge wehrt.
Archiv: Kanadas Außenministerin Melanie Joly (von links), Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock und US-Außenminister Marco Rubio kommen zum Familienfoto während des G7-Außenministertreffens in La Malbaie, Quebec, Kanada, am 13. 3. 2025. (
Kanadas Außenministerin Melanie Joly (vl), Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock und US-Außenminister Marco Rubio.
Quelle: AP

Denn letztlich kann uns nur das amerikanische Volk zu stärkeren Handelsbeziehungen ohne Protektionismus zurückführen. Ich denke, das ist es, was die Europäer verstehen müssen. Denn dies wird nicht nur durch einige diplomatische Gespräche geregelt werden. Es ist tatsächlich ein Kampf um die Herzen und Köpfe der Amerikaner.

Ich denke, jetzt kommt es darauf an, dass wir gemeinsam reagieren und in sehr engem Kontakt bleiben.

Mélanie Joly, Außenministerin Kanada

ZDFheute: Glauben Sie, dass die Beziehungen zwischen Kanada und den USA und auch die transatlantischen Beziehungen, die Amerika mit Europa hatte, vorbei sind? Oder gibt es einen Weg zurück?
Joly: Wir leben in einer neuen Ära. Wir wissen, dass die amerikanische Regierung sich mehr auf den strategischen Wettbewerb zwischen Amerika und China konzentrieren will. Die Europäer müssen das auch verstehen, denn es ist eine existenzielle Bedrohung auch für die USA.
Washington, D.C, USA: US-Präsident Trump unterzeichnet ein Dekret im Weißen Haus.
Der undurchsichtige Wirtschaftskurs von Donald Trump belastet nicht nur die US-Nachbarn Mexiko und Kanada. Auch in Europa versucht man, sich vor den Zöllen zu schützen.07.03.2025 | 1:30 min
Gleichzeitig müssen die USA in der Lage sein zu erkennen, dass Russland eine Bedrohung darstellt, insbesondere für Deutschland und für Europa. Und ich habe meinem Kollegen, Außenminister Rubio, deutlich gesagt: Wenn die USA und die Nato Russland nicht als Bedrohung sehen, weiß ich nicht, warum wir die Verteidigungsausgaben erhöhen sollten.
Im Grunde haben wir es jetzt in der Welt nicht nur mit einer Bedrohung durch Russland und China zu tun, sondern auch mit der Tatsache, dass sie zusammenarbeiten. Wir müssen also dafür sorgen, dass wir uns unter Freunden näher sind als je zuvor.

Und der Handelskrieg, der vom Oval Office angezettelt wurde, beeinträchtigt genau dieses Vertrauen.

Mélanie Joly, Außenministerin Kanada

US-Zölle
Die Zölle, die der US-Präsident gegen Kanada und Mexiko verhängt hat, versetzen auch die europäische Wirtschaft in Aufruhr. Als Handelspartner sind die USA für viele nicht mehr zuverlässig genug.07.03.2025 | 2:28 min
ZDFheute: Was halten Sie denn von dem Gedanken, dass Kanada irgendwann der EU beitreten könnte?
Joly: Wir haben jetzt ja zumindest eine Grenze mit der EU, nachdem wir einen langjährigen diplomatischen Streit mit Dänemark um die winzige Hans-Insel beigelegt haben, ganz im Norden, in der Nähe des Nordpols.
Aber ob Kanada jemals der EU beitreten wird? Nun ja. Ich denke, Kanada ist das europäischste aller nichteuropäischen Länder, und dabei wollen wir es auch belassen.
Canada Tariffs Alcohol
Kanada gilt als ein friedliches und unaufgeregtes Land, doch jetzt stellt es sich gegen Trump und seine Zölle - mit Gegenzöllen und Boykotts von US-Waren in den Geschäften.26.03.2025 | 4:20 min
ZDFheute: Und wie ernst nehmen Sie die Drohungen des US-Präsidenten in Richtung Kanada, wenn er eine mögliche Annexion erwägt und Kanada als 51. US-Bundesstaat sieht?
Joly: Wir nehmen das sehr ernst. Das ist kein Scherz. Die Kanadier sind nicht nur beleidigt, sondern auch verängstigt und besorgt. Und deshalb müssen wir sicherstellen, dass wir unsere Souveränität verteidigen. Das ist eine Rhetorik, die wir nicht akzeptieren können.
Ich habe Außenminister Marco Rubio gesagt, dass die Frage der Souveränität Kanadas nicht einmal auf dem Tisch liegt. Wir stellen sie nicht infrage. Wir lachen nicht einmal darüber. Es ist unser Land. Dies sind unsere Grenzen. So werden wir in der Welt respektiert und so respektieren wir auch andere.
Das Interview für die Redaktion ZDF frontal führte Christopher Bobyn, aufbereitet hat es Katja Belousova.

Icon von whatsapp
Quelle: dpa

Sie wollen auf dem Laufenden bleiben? Dann sind Sie beim ZDFheute-WhatsApp-Channel richtig. Hier erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten auf Ihr Smartphone. Nehmen Sie teil an Umfragen oder lassen Sie sich durch unseren Podcast "Kurze Auszeit" inspirieren. Zur Anmeldung: ZDFheute-WhatsApp-Channel.

Mehr zum Thema Zölle