Vier Tote bei Angriff: Kosovo wirft Serbien "Terror" vor
Bewaffneter Angriff mit Geiseln:Kosovo: Vier Tote bei neuen Spannungen
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Bewaffneter Kampftrupp, vier Tote: Im Kosovo haben die Spannungen weiter zugenommen. Die Regierung wirft Serbien "Terror" vor. Serbiens Präsident weist die Anschuldigungen zurück.
Tödliche Zusammenstöße zwischen Polizisten und bewaffneten Angreifern haben die Spannungen im Norden des Kosovo am Sonntag angeheizt: Bei einem Angriff auf eine Patrouille wurde am Morgen ein Polizist getötet.
Etwa 30 bewaffnete Männer verschanzten sich später stundenlang in einem Kloster, bevor das Innenministerium in Pristina am Abend mitteilte, das Gelände sei "nach mehreren Kämpfen" wieder unter Kontrolle der Behörden. Regierungschef Albin Kurti warf Serbien vor, "terroristische Attacken" im vorwiegend von Serben bewohnten Norden des Kosovo zu unterstützen. Serbiens Präsident Aleksandar Vucic wies dies zurück.
Auseinandersetzung am Sonntag
Die Unruhen hatten am frühen Morgen begonnen, als bei einem Angriff auf eine Patrouille nach Behördenangaben ein Polizist getötet und ein weiterer verletzt wurden. Später informierte die Polizei über "den Tod von drei Angreifern und die Festnahme von vier (zivilen) Verdächtigen".
Nach Angaben der kosovarischen Behörden hatte sich dann im Laufe des Tages die Lage rund um das nördlich der Stadt Mitrovica gelegene Kloster Banjska verschärft. Demnach verbarrikadierten sich dort zeitweilig etwa 30 bewaffnete Männer.
Karte von Kosovo mit angrenzenden Ländern
Quelle: ZDF
Seit Sonntagnachmittag wurden sie von der Polizei umstellt. Am Abend sagte Innenminister Xhelal Svecla mit Blick auf das Kloster:
Es habe mehrere Festnahmen gegeben, eine große Zahl von Waffen und Ausrüstung sei sichergestellt worden.
Regierungschef zeigt Fotos von Männern in Tarnkleidung
Regierungschef Kurti zeigte auf einer Pressekonferenz Bilder von bewaffneten Männern in Tarnkleidung, die sich offenbar im Hof eines Klosters verschanzt hatten. Bei ihnen handele es sich "nicht um Zivilisten", sagte Kurti.
Laut Gesetz ist den kosovarischen Behörden der Zugriff in orthodoxen Kirchen und Klöstern nicht ohne Zustimmung der Kirche erlaubt - außer in Notfällen wie einem Brand oder einem Erdbeben.
Die Nato-Friedenstruppe KFOR erklärte, dass sie "anwesend und bereit" sei "einzugreifen", falls sie darum gebeten werde.
Abt: Klosterbesucher schlossen sich ein
Nach Angaben der zuständigen Diözese hielten sich in dem Kloster "eine Gruppe von Pilgern" aus der serbischen Stadt Novi Sad zusammen "mit einem Abt" auf. Zu ihrer Sicherheit hätten sich die Menschen in dem Gebäude eingeschlossen, nachdem "maskierte Männer in einem gepanzerten Fahrzeug das Kloster Banjska" gestürmt und gewaltsam das Tor aufgebrochen hätten.
Nach dem tödlichen Angriff auf die Patrouille sprach Regierungschef Kurti von einem "Terroranschlag". Er beschuldigte "Verantwortliche in Belgrad", logistische und finanzielle Unterstützung "für das organisierte Verbrechen" zu leisten.
Kosovos Präsidentin: "Angriff auf unser Land"
Kosovos Präsidentin Vjosa Osmani bezeichnete die Vorfälle als einen "Angriff" auf ihr Land. Sie bewiesen, "dass die von Serbien organisierten kriminellen Banden eine destabilisierende Wirkung haben". Osmani forderte die Verbündeten des Kosovo auf, das Land "in seinen Bemühungen um Frieden und Ordnung und die Wahrung der Souveränität über die gesamte Republik" zu unterstützen.
Darum geht's im Kosovo
Im Kosovo leben mehrheitlich ethnische Albaner. Im Jahr 2008 erklärte die Balkanregion ihre Unabhängigkeit, davor war sie eine serbische Provinz gewesen. Die Regierung in Belgrad weigert sich bis heute, die Unabhängigkeit anzuerkennen. Obwohl sie im Kosovo keine direkte Kontrolle mehr hat, betrachtet sie das Gebiet weiterhin als Teil des eigenen Staates.
International wird das Kosovo von etwa hundert Ländern als selbstständiger Staat anerkannt, unter anderem von den USA. Doch Russland, China und fünf Mitglieder der Europäischen Union tun dies bis heute nicht. Auch deswegen flammt der Konflikt immer wieder auf und verhindert somit eine vollständige Stabilisierung der Lage auf dem Balkan. Im Kosovokrieg von 1998 bis 1999 wurden mehr als 10.000 Menschen getötet, mehr als eine Million wurde in die Flucht getrieben.
Im April hatte die serbische Minderheit im Norden des Kosovo eine Kommunalwahl boykottiert. Folglich erhielten dort albanische Kandidaten die meisten Stimmen. Als serbische Demonstranten am Freitag versuchten, den Amtsantritt der neuen Bürgermeister zu verhindern, setzte die Polizei des Kosovo Tränengas ein, um die Proteste aufzulösen. Am Montag kam es zu weiteren gewaltsamen Zusammenstößen. Hintergrund des Wahlboykotts war der kollektive Rücktritt vieler serbischstämmiger Politiker, Richter und Verwaltungsbeamter im vergangenen November.
Seit Jahrhunderten gibt es um das Gebiet des heutigen Kosovo Streit. Serbien sieht es als das Herz seiner staatlichen und religiösen Identität. Viele serbisch-orthodoxe Klöster befinden sich hier, zum Teil seit dem Mittelalter. Für viele Serben ist zudem eine Schlacht gegen die Osmanen 1389 auf dem nahe der kosovarischen Hauptstadt Pristina gelegenen Amselfeld (serbisch: Kosovo polje) ein wichtiger Teil ihres Nationalmythos.
Die albanischstämmige Mehrheit der kosovarischen Bevölkerung betrachtet Serbien als einen Unterdrücker ihrer Heimat. Im Jahr 1998 starteten kosovo-albanische Rebellen einen Aufstand, um sich von Belgrad loszulösen. Wegen der brutalen Reaktion Serbiens schritt 1999 die Nato ein. Die serbischen Truppen mussten sich daraufhin zurückziehen. Seitdem ist im Kosovo die internationale Friedenstruppe KFOR im Einsatz.
Die meisten serbischstämmigen Kosovaren leben im Norden - und pflegen enge Verbindungen zu Belgrad. Versuche der Regierung in Pristina, ihre Kontrolle über serbisch dominierten Landesteile zu festigen, stoßen regelmäßig auf heftigen Widerstand. Mitrovica, die größte Stadt im Norden, ist de facto in zwei Teile aufgeteilt - einen albanischen und einen serbischen. Im Süden gibt es einige kleinere serbische Enklaven. Zehntausende serbischstämmige Kosovaren leben zudem in Serbien selbst. Viele von ihnen hatten 1999 gemeinsam mit den serbischen Truppen den Kosovo verlassen.
Seit Jahren wird unter internationaler Vermittlung versucht, die Situation zu entspannen. Bislang konnte aber kein endgültiges Abkommen zwischen den einstigen Kriegsgegnern erzielt werden. Mit Unterstützung der EU hat es zumindest in einigen Bereichen Fortschritte gegeben, etwa im Hinblick auf die Bewegungsfreiheit innerhalb des Landes. Andere formal getroffene Vereinbarungen wurden in der Praxis kaum umgesetzt.
Eine Idee, die gelegentlich ins Spiel gebracht wird, ist die eines "Landtauschs", also die einer Veränderung des Grenzverlaufs. Dies wird jedoch von vielen Ländern der EU strikt abgelehnt, vor allem aus Sorge, dass dies eine Kettenreaktion in anderen ethnisch gemischten und umstrittenen Gebieten des Balkans auslösen könnte.
Sowohl im Kosovo als auch in Serbien sind Nationalisten an der Macht, die kaum Bereitschaft zu Kompromissen zeigen. Der kosovarische Ministerpräsident Albin Kurti war einst ein Anführer von Studentenprotesten und hat einige Zeit in serbischer Haft verbracht. Er lehnt jegliche Einmischung Belgrads ab und spricht sich stattdessen für eine Vereinigung des Kosovos mit Albanien aus.
Serbischer Präsident ist der Populist Aleksandar Vucic, der während des Kosovokriegs serbischer Informationsminister war. Der frühere Ultra-Nationalist besteht darauf, dass die festgefahrene Lage nur gelöst werden könne, wenn Zugeständnisse gegenüber Serbien gemacht würden.
Internationale Vermittler hoffen, innerhalb der kommenden Monate eine Einigung erreichen zu können. Beide Länder streben einen Beitritt zur Europäischen Union an - und eine Normalisierung der Beziehungen zueinander wäre dafür die Voraussetzung. Auch die wirtschaftliche Entwicklung der Region ist stark von einer Beilegung des Konflikts abhängig. Sollten hingegen, wie von Belgrad angedroht, tatsächlich serbische Soldaten im Kosovo eingreifen, würden diese mit dort stationierten KFOR-Friedenstruppen unter Führung der Nato zusammenstoßen, was eine weitere Eskalation bedeuten würde.
Quelle: Dusan Stojanovic, AP
Serbiens Präsident Vucic weist Verantwortung zurück
Serbiens Präsident Vucic wies am Sonntagabend jegliche Verantwortung seines Landes für die Vorfälle zurück und erklärte, bei den Angreifern habe es sich um Kosovo-Serben gehandelt.
"Der einzige Schuldige an allem, was im Norden des Kosovo passiert (...), ist Albin Kurti", behauptete er. Kurti provoziere "ständig und es tut mir leid, dass einige Serben seinen Provokationen nachgegeben haben".
Denjenigen, "die glauben, dass dies Serbien dazu bringen wird, das Kosovo anzuerkennen, sage ich, dass dies nicht nur mich, sondern die ganze Nation gestärkt hat und dass wir die Unabhängigkeit des Kosovo niemals anerkennen werden, selbst wenn ihr uns alle tötet", fügte Vucic hinzu.
EU verurteilt "abscheulichen Angriff"
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell verurteilte im vormals Twitter genannten Onlinedienst X "den abscheulichen Angriff auf Polizeibeamte in Banjska im Norden des Kosovo". Die Verantwortlichen müssten "vor Gericht gestellt werden".
Kosovo seit 2008 unabhängig
Das Kosovo mit seiner mehrheitlich ethnisch-albanischen Bevölkerung hatte im Jahr 2008 seine Unabhängigkeit von Serbien erklärt, wird aber von Belgrad bis heute als serbische Provinz betrachtet. Zu den rund 1,8 Millionen Einwohnern des Kosovo zählen rund 120.000 Serben, die vor allem im Norden des Landes leben.
Seit Monaten nehmen die Spannungen im Norden des Kosovo wieder zu. Ein Auslöser war, dass die Regierung in Pristina im Mai beschlossen hatte, ethnisch-albanische Bürgermeister in vier Gemeinden mit serbischer Mehrheit einzusetzen. Bei darauffolgenden Ausschreitungen wurden unter anderem mehr als 30 Soldaten der Nato-Friedenstruppe KFOR verletzt.
Bei den Zusammenstößen im Kosovo haben militante Serben 30 KFOR-Soldaten verletzt. Ein Rückschlag auch für die EU, die an besserer Zusammenarbeit zwischen den Staaten arbeitet.