Todestag Mahsa Amini: Wie die Kopftuch-Frage Iran spaltet

    Todestag Mahsa Amini:Wie die Kopftuch-Frage den Iran spaltet

    Alexander Poel
    von Alexander Poel
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    Vor dem Todestag der Iranerin Mahsa Amini kündigt Präsident Raisi härtere Strafen für Frauen an, die sich weigern, den Hijab zu tragen. Der Iran ist in dieser Frage gespalten.

    Der Anruf kommt am späten Vormittag. Unsere Mitarbeiterin in Teheran wird von Polizeikräften festgehalten. Solche Vorfälle gibt es immer wieder in Iran. Und doch kann jeder Fall anders ausgehen.
    Die Polizei wirft ihr vor, nicht ausgewogen zu berichten, den Iran negativ darzustellen. Dann lässt man die Kollegin erst laufen, nimmt sie später erneut fest. Eine intensive Befragung folgt, ihre Papiere werden ein weiteres Mal kontrolliert. Nach zwei Stunden ist der Spuk vorbei, unsere Mitarbeiterin wieder frei.
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    Übergriffe nehmen zu

    Ein Vorfall, der zeigt, wie nervös das Regime in Iran derzeit agiert. In ein paar Wochen jährt sich der Todestag der jungen Iranerin Masha Amini. Sie war am 13. September letzten Jahres von der Sittenpolizei verhaftet worden.
    Der Vorwurf: Verstoß gegen die Kopftuch-Verordnung. Drei Tage später ist Masha Amini tot. Bei den anschließenden Protesten im ganzen Land wird das Abnehmen des Kopftuchs zum Symbol für den Freiheitskampf einer ganzen Generation.

    Immer mehr Frauen lehnen das Kopftuch ab

    Seitdem hat sich das Straßenbild Teherans verändert. Wer sich die Bilder ansieht, ist überrascht: Konnte man früher oft beobachten, wie besonders junge Frauen das Kopftuch eher locker trugen - was auch schon als Protest gilt - weigern sich heute viele überhaupt den Hijab zu tragen.
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    Es ist eine offene Revolte. Und sie findet auch an Orten wie der Universität Teheran statt, einer quasi heiligen Stätte der Islamischen Revolution. Ein Zustand, der vor allem die Hardliner in Iran aufschreckt.

    Präsident Raisi unter Druck

    Vor etwa einer Woche dann hält der iranische Präsident Ebrahim Raisi eine Ansprache. Sein Publikum ist nicht irgendwer: Es sind Angehörige von Soldaten der iranischen Revolutionsgarden. Konservativer geht es nicht.
    Die Revolutionsgarden sind die Lordsiegelbewahrer der Islamischen Republik. Und sie sind unzufrieden. Zu wenig wurde aus ihrer Sicht in den letzten Monaten gegen Frauen getan, die sich nicht "vorschriftsgemäß kleiden", wie es Bürokraten formulieren. Gemeint ist das Kopftuch.
    Und so gibt Raisi vor diesem Publikum ein Versprechen ab. "Ich versichere Ihnen", so Raisi, "das Abnehmen des Kopftuchs wird definitiv ein Ende haben. Machen Sie sich keine Sorgen."
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    Reaktionen bereits spürbar

    Und bereits seit ein paar Tagen kann man in Teheran spüren, dass die Worte des Präsidenten offenbar Wirkung zeigen. Die Festsetzung unserer Mitarbeiterin ist so ein Fall. Sie hatte Frauen auf der Straße nach ihrer Meinung zum Hijab gefragt.
    Die iranische Journalistin Nasila Marufian trifft es ungleich härter. Sie hatte nach dem Vorfall mit Masha Amini mit deren Vater gesprochen - und wurde eingesperrt. Vor ein paar Tagen kam sie frei und machte ein Selfie vor dem Gefängnis: ohne Kopftuch, die Hände zum Victory-Zeichen geformt. Nun sitzt sie erneut hinter Gittern.

    Übergriffe auf Frauen sollen "Gesetz" werden

    Derart willkürliche Maßnahmen sollen nun in Gesetzesform gegossen werden. So will es eine Mehrheit der Abgeordneten der Madschles, des iranischen Parlaments. "Wir werden das Problem lösen", sagt Mousa Ghazanfarabadi, der Vorsitzende des Rechtsausschusses und droht:

    Das Strafmaß, das wir anstreben, wird definitiv einen Effekt haben.

    Mousa Ghazanfarabadi, Vorsitzender Rechtsausschuss

    Welche Strafen das sind, darüber gibt es noch keine definitive Entscheidung. Klar scheint, dass die Möglichkeiten, Frauen aufgrund "falscher Kleidung" von Teilen des öffentlichen Lebens auszuschließen, ausgeweitet werden.
    Das könnte Cafés betreffen, aber auch Krankenhäuser. Die Einzelheiten der neuen Gesetzgebung werden ausschließlich im Rechtsausschuss beraten - das Parlament als Ganzes kann (und wird) diese Entscheidung am Ende nur abnicken.

    Angst vor der eigenen Bevölkerung

    Dieses Verfahren hat seinen Grund, weiß Mehdi Rahmanian, Herausgeber der Reform-Zeitung "Shargh". "Die Regierung befürchtet eine breite Debatte", so Rahmanian.

    Würde das ganze Parlament darüber diskutieren, dann gäbe es auch Diskussionen in der Öffentlichkeit.

    Mehdi Rahmanian, Herausgeber der Reform-Zeitung "Shargh"

    Und das ist in den Augen des Regimes das schlechteste Resultat. Denn schon jetzt ist klar: Die iranische Gesellschaft ist über die Frage des Kopftuchs tief gespalten.
    Die einen, es sind Stimmen von den Straßen Teherans, sagen offen in die Kamera, dass es sich bei dem Gesetz um den Willen "einer Minderheit" handele. Und dass es keinen Weg zurück gebe. Die anderen, zum Beispiel Besucher des Freitagsgebets, erhöhen den Druck auf den Präsidenten, die Gesetze weiter zu verschärfen.

    Manche nehmen das Gesetz selbst in die Hand

    Dass es für diese Menschen keine neuen Gesetze braucht, um Frauen ohne Kopftuch auf offener Straße anzugreifen, zeigt eine Szene aus den sozialen Medien. Ein Mann schlägt und tritt am Straßenrand auf eine Frau ein, die den Hijab nicht trägt. Sie wehrt sich nach Kräften, niemand kommt ihr zu Hilfe. Irgendwann lässt der Mann von ihr ab.
    Vielleicht haben ihn die Worte seines Präsidenten angestachelt. "Das Kopftuch-Abnehmen" werde definitiv beendet werden, sagte der. Und wie es scheint, nehmen manche das Recht selbst in die Hand.
    Alexander Poel ist Reporter im ZDF-Studio in Istanbul
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