Hitzeschutz im Klimawandel:Der Boden ist Lava: Wie Städte sich abkühlen
von Dorothée Schmidt
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Kühlwesten bei den Olympischen Spielen in Paris, geschlossene Sehenswürdigkeiten in Athen: Wie bleiben Städte trotz zunehmender Hitze lebenswert? Inspiration aus dem Ausland.
Auch die Stadt Wien setzt seit Jahren auf Nebelduschen und Trinkwasserbrunnen (Archiv).
Quelle: dpa
Europa ist der sich am schnellsten erwärmende Kontinent, so ein Bericht des EU-Klimadienstes Copernicus und der Weltorganisation für Meteorologie WMO. 2023 gab es auf dem Kontinent demnach eine Rekordzahl an Tagen mit einer "gefühlten" Temperatur von mehr als 46 Grad Celsius. Für eine kühlere Stadt setzen auch Orte von Singapur bis Miami auf mehr Grün, Schatten und Wasser sowie weniger versiegelte Fläche.
Singapur begrünt Straßen, Dächer und Fassaden
Ganzjährig über 30 Grad Celsius und hohe Luftfeuchtigkeit herrschen im tropischen Stadtstaat Singapur. Seit über 60 Jahren baut die Stadt ein Netzwerk aus Grünflächen, um eine Stadt mitten in der Natur zu werden.
Da der Platz auf der Insel begrenzt ist, wächst das Grün gerade abseits der Parks an Fassaden und auf Gebäuden. 140 Hektar Hochhausfläche auf Dächern und Balkonen wurden bereits bepflanzt. Bis 2030 sollen 80 Prozent aller Hochhausflächen begrünt sein. Jörn Birkmann leitet das Institut für Raumordnung und Entwicklungsplanung an der Universität Stuttgart. Er meint:
1199 Weltkulturerbestätten hat die UNESCO auf ihrer Liste. Darunter der Botanische Garten mitten in der Millionenmetropole Singapur. Ein echter Regenwald direkt in der Mega-Stadt.22.07.2024 | 3:38 min
Städte in Europa setzen auf Hitze-Apps
Selbst in dicht bebauten Städten sei viel möglich in Sachen Abkühlung, so Professor Birkmann. In Wien, Athen oder Mailand lassen sich kühle Orte wie Parks, Bäder, Trinkwasserbrunnen, aber auch Kirchen oder klimatisierte Gemeindezentren per App finden - und der kühlste Weg dorthin.
Die App bietet zusätzlich Informationen über aktuelle Temperaturen, das Hitzerisiko und die Luftqualität. Je nach Stadt gibt es Verhaltenstipps, Aufklärung über Hitzewarnstufen oder Hinweise auf Hilfsangebote für hitzegefährdete Menschen.
In dicht bebauten, stark versiegelten Städten staut sich Hitze durch aufgeheizte Gebäude und Straßen an. Im Vergleich zum Umland kann es bis zu zehn Grad wärmer sein.
Besonders stark ist der Effekt im Sommer, insbesondere wenn es mehrere Tage in Folge heiß ist und die Stadt auch in der Nacht kaum abkühlen kann. Bei nächtlichen Temperaturen ab 20 Grad spricht man von "Tropennächten".
Vor allem ältere Personen, Schwangere, Kleinkinder, Arbeitskräfte und Sporttreibende im Freien oder Menschen mit Vorerkrankungen sind höheren gesundheitlichen Risiken ausgesetzt.
Tage über 30 Grad bedrohen die Gesundheit vieler Menschen, und Hitzewellen werden häufiger. Mit auf dem Vormarsch: Allergiepflanzen, Riesenzecken und Tropenkrankheiten.18.07.2023 | 28:33 min
Klimawandel: Paris baut Schulhöfe aus
Hitze trifft nicht alle gleich. Vor allem besonders verwundbare Gruppen sollten berücksichtigt werden, betont Professor Birkmann.
Quelle: Umweltbundesamt, Initiative Klima Mensch Gesundheit
Die Stadt Paris hat gemeinsam mit Schulen und Kindertagesstätten mindestens 130 asphaltierte Pausenhöfe begrünt. Regenwasser kann wieder versickern, schattenspendende Möbel und Pflanzen sowie Springbrunnen sorgen für Erfrischung.
Außerhalb der Unterrichtszeiten stehen einige auch anderen hitzegefährdeten Gruppen wie älteren oder gesundheitlich angeschlagenen Personen oder Eltern mit Babys offen. Hunderte weitere Schulhöfe sind gleichmäßig über die Stadt verteilt - bis 2030 sollen alle als Oasen im Herzen der Stadtviertel umgestaltet werden.
Im Rahmen des großangelegten Plans „local d'urbanisme“ will die Stadt bis 2040 300 Hektar neue Grünflächen schaffen.06.02.2024 | 2:14 min
Begrünung in Medellín zeigt Effekt
Vor Jahren ausgezeichnet wurde das Stadtplanungsprojekt in Medellín. Es zeigt, dass die Begrünung spürbare Effekte mit sich bringt. In der kolumbianischen Großstadt wurden bis 2019 entlang von 18 Straßen und 12 Wasserläufen grüne Korridore mit Bäumen und Sträuchern eingerichtet.
Zu den ausgewählten Strecken gehört auch eine zuvor gepflasterte Hauptverkehrsstraße. Hier ist die Temperatur seit der Umgestaltung um zwei bis drei Grad gesunken und die Luftqualität hat sich verbessert. Auch beliebte Radwege wurden bei der Auswahl berücksichtigt.
Starkregen, Hochwasser, Hitzerekorde - gerade Städte trifft der Klimawandel besonders heftig, mit teils gravierenden Auswirkungen auf die Bewohner.27.07.2024 | 29:45 min
Experte: Hitzeschutz muss sich lohnen
Viele Flächen und Gebäude, die für Hitzeschutz entsiegelt werden könnten, liegen in den Händen von Privatpersonen oder Firmen, so Birkmann. Für sie müsste es sich lohnen Hitzeschutzmaßnahmen umzusetzen.
Beamte für mehr Abkühlung
Städte gemeinsam mit Verwaltungen und der Privatwirtschaft widerstandsfähiger gegen Hitze zu machen, ist die Aufgabe sogenannter Heat Protection Officer. Diese Rolle wurde vom Adrienne Arsht-Rockefeller Foundation Resilience Centre der US-Lobbyorganisation Atlantic Council gestartet.
Mittlerweile arbeiten sieben Frauen in Stadtverwaltungen weltweit. Mithilfe des Netzwerkes sollen sie auf die Gefahr von Hitze in Städten aufmerksam machen und konkrete Projekte zum Schutz der Bevölkerung vorantreiben. Als Erste wurde Jane Gilbert vom Bezirk Miami-Dade in Florida ernannt. Mit einem Fokus auf besonders gefährdete Gruppen und Stadtteile arbeitet sie unter anderem an:
Schutz von Arbeitskräften im Freien
Änderung gesetzlicher Vorschriften, z. B. zur Kühlung von Gebäuden
Einsatz von kühlen Belägen auf Geh- und Radwegen, Parkplätzen etc.
Katja Horneffer erklärt in 3D, bei welcher Temperatur es gefährlich wird.14.07.2023 | 0:44 min
Hitzeschutz konsequent mitdenken
Für Professor Birkmann müssen Städte auch mit Gemeinden aus dem Umland zusammenarbeiten. Damit Freiflächen, über die kalte Luft aus dem Umland in die Städte strömt, nicht plötzlich bebaut werden.
Mit Blick auf Deutschland sieht auch die Leiterin des Forschungsbereichs Stadtwandel in Wuppertal, Anja Bierwirth, zu wenig strukturelle Planungsansätze und kooperative Strukturen zwischen verschiedenen Zuständigkeitsbereichen und Interessen. Es gäbe aber auch viel Potenzial.
Hitzeschutz spiele neben der Stadtplanung in vielen Bereichen wie Mobilität oder dem Bau und der Sanierung von Gebäuden eine Rolle. Städte würden zwar schon einiges tun, für beide Expert*innen, Bierwirth und Birkmann, werde das Thema aber noch zu wenig mitgedacht und müsste systematischer angegangen werden.
Das Weltklima ändert sich und das in einer Geschwindigkeit, die die meisten Voraussagen übertrifft. In Südostasien werden Hitzewellen zu einer immer größer werdenden Bedrohung.
von Emina Mujagić
Quelle: ZDF
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