Außenpolitik-Experte Heusgen: Verantwortung übernehmen

    Interview

    Deutschlands Verteidigung:Heusgen: Müssen Verantwortung übernehmen

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    Ukraine, Wehretat, Nato, Trump: Deutschland steht vor großen Herausforderungen. Christoph Heusgen, Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz, kritisiert die deutsche Haltung.

    ZDF: Das sogenannte Zwei-Prozent-Ziel, dass wir zwei Prozent unserer Wirtschaftsleistung in die Verteidigung stecken, soll nun nur noch im Schnitt über mehrere Jahre erreicht werden, nicht mehr jährlich. Wie bewerten Sie das?
    Heusgen: Es ist erschütternd, weil wir erstens die Konsequenzen aus diesem russischen Angriffskrieg nicht wirklich ziehen. Und es ist erschütternd, dass wir als größtes Land in Europa, als wichtigster europäischer Partner auch der Nato, die über Jahrzehnte unsere Sicherheit garantiert hat, dass wir da unsere Verpflichtungen nicht eingehen. Es ist ein verheerendes Signal an das Bündnis.

    Ich glaube, dass wir uns immer noch nicht auf die neuen Realitäten eingestellt haben.

    Christoph Heusgen

    Wir haben uns eingerichtet in einer Welt, wie es so schön heißt, in der wir nur von Freunden umgeben sind. Und wir haben immer noch nicht diese mentale Umstellung verinnerlicht, dass wir heute einen Nachbarn haben, der aggressiv ist, der vor dem Einsatz brutaler Waffengewalt nicht zurückschreckt.
    Anteil der Militärausgaben am BIP in Deutschland

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    ZDF: Bundesverteidigungsminister Pistorius wollte ja den Verteidigungsetat um zehn Milliarden Euro aufstocken. Bekommen hat er 1,7 Milliarden. Was sagt Ihnen das?
    Heusgen: Es wird ja sogar hervorgehoben, dass bis auf den Verteidigungsminister alle anderen mehr einsparen müssen. Sogar parteiübergreifend wird das gelobt. Und das wiederum erschreckt mich, denn es ist ja weniger als Pistorius verlangt. Und es ist weniger als das, was wir machen müssten, um unsere Verpflichtungen einzugehen.
    Und das zeigt, dass wir in der Bundesregierung, im Bundestag, auch in der Bevölkerung nicht erkannt haben, dass sich die Zeiten geändert haben. Die Zeitenwende, von der der Bundeskanzler gesprochen hat, ist immer noch nicht in den Köpfen der Menschen angekommen.
    ZDF: Wie schauen Sie vor diesem Hintergrund auf den US-Präsidentschaftswahlkampf? Trump oder ein anderer Republikaner könnte ins Weiße Haus einziehen…
    Heusgen: Ich schaue mit Sorge darauf. Wir müssen uns darauf einrichten, dass Trump wieder Präsident wird. Aber wir müssen uns einrichten insgesamt auf eine andere amerikanische Politik. Egal, ob Trump, ein Republikaner oder auch ein Demokrat Präsident wird, auf Dauer wird der amerikanische Steuerzahler sagen: "Wir wollen nicht, dass wir die ganze Zeit europäische Sicherheit garantieren und die Europäer sehr viel weniger, und Deutschland vor allen Dingen sehr viel weniger ausgibt pro Kopf, als wir das tun". Damit werden wir nicht lange durchkommen.

    Wir müssen umsteuern, wir müssen Verantwortung übernehmen.

    Christoph Heusgen

    Also ich glaube, dass egal welcher Republikaner Präsident wird, Trump oder auch meine ehemalige Kollegin als UNO-Botschafterin, die jetzt stärker wird, Nikki Haley, sie alle werden sagen: "Wir werden uns noch stärker auf Asien ausrichten, auf China. Und Europa muss sich selbst beschützen. Und wenn sie ihre Hausaufgaben nicht machen, dann haben sie eben Pech gehabt".

    Christoph Heusgen, Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz
    Quelle: dpa

    ... ist Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz. Der promovierte Ökonom startete seine Karriere in Brüssel. Mit Angela Merkels Amtsübernahme 2005 wechselte Heusgen ins Kanzleramt, später vertrat er die Bundesregierung bei den Vereinten Nationen.

    Heusgen wird 2025 durch den bisherigen Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg im Amt des Vorsitzenden der Münchner Sicherheitskonferenz abgelöst.

    ZDF: Bereiten wir uns denn darauf vor, oder setzen Berlin und Brüssel zu sehr im Moment darauf, dass Biden wiedergewählt wird?
    Heusgen: Wir haben wirklich sehr viel Glück mit Präsident Biden. Präsident Biden und Bundeskanzler Olaf Scholz verstehen sich sehr gut. Sie arbeiten sehr gut zusammen, und ich habe ein bisschen Angst, dass sich unsere Administration und die amerikanische Administration darauf einrichtet, dass es immer so weitergehen wird. Dass man ein bisschen auch die Augen zumacht vor dem, was im Januar 2025 dann eventuell kommt.
    ZDF: Sie haben ja Erfahrung mit der ersten Trump-Regierung: Was erwartet uns bei einem erneuten Trump-Sieg?
    Heusgen: Ich glaube, wir werden einen Trump erleben, der nochmal schlimmer ist als der, den wir zwischen 2017 und 2021 erlebt haben. Damit meine ich, dass er seine erratische, emotionale Politik dann versuchen wird, auch umzusetzen. Und wir müssen uns einrichten, dass er versuchen wird, mit Putin irgendwie zu einem Deal zu kommen.
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    Dass er sagen wird: "Ihr Deutschen müsst euch jetzt selbst verteidigen!" Und es wird sehr schwierig werden. Wir haben jetzt eine sehr schöne Kohärenz innerhalb der G7. Das wird nicht wieder so sein, sondern da werden wir mit einem Trump zu tun haben, bei dem man nicht weiß, wie er heute aufgestanden ist. Und wie seine Launen sind.
    ZDF: Sind wir darauf vorbereitet?
    Heusgen: Ich glaube, dass wir als Deutsche mental wissen, da droht etwas. Was wir noch nicht gemacht haben, ist, die Konsequenz daraus zu ziehen. Das bedeutet, dass wir auf der einen Seite in Deutschland unsere Aufgaben machen, in der Verteidigung. Aber auch, dass wir in Europa mehr machen, um zu einer engeren, stärkeren Zusammenarbeit auch in Sicherheits- und Verteidigungsfragen zu kommen.
    Wir können unsere Verteidigung, wenn sie einem massiven Angriff gegenübersteht, nicht garantieren. Wir brauchen Amerika und wir sind Amerika insofern weiter ausgeliefert. In der Vergangenheit hat es super funktioniert. Aber wir haben keine Garantie, dass es weiter so sein wird. Und deswegen müssen wir die Zeitenwende durchführen. Wir müssen unsere Hausaufgaben machen und können uns da nicht aufs Sofa setzen.
    Das Interview führte Ines Trams, Korrespondentin im ZDF-Hauptstadtstudio Berlin.

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