42:49 min
FAQ
Banden, Hunger, Gewalt:Warum Haiti immer tiefer ins Chaos rutscht
von Steffanie Riess
|
Ungezügelte Bandengewalt legt seit Jahren das Leben in Haiti lahm. Die Mordrate eskaliert, die Bevölkerung hungert. Gründe, warum das Land immer tiefer in die Krise rutscht.
In Haiti haben mutmaßliche Bandenmitglieder versucht, den wichtigsten internationalen Flughafen einzunehmen. 05.03.2024 | 0:20 min
Haiti kommt nicht zur Ruhe. Gewalttätige Gangs haben das durch die Ermordung von Präsident Jovenel Moïse im Jahr 2021 entstandene Machtvakuum gefüllt. Nach UN-Schätzungen kontrollieren sie inzwischen 80 Prozent der Hauptstadt Port-au-Prince. Die Bevölkerung lebt in ständiger Unsicherheit, regelmäßige Ausgangssperren legen das wirtschaftliche Leben lahm. Die Mordrate hat sich seit 2022 verdoppelt, Kidnappings sind an der Tagesordnung.
Bandenkriminalität: Warum eskaliert die Gewalt?
Die haitianische Nationalpolizei kommt nicht gegen die Banden an. Es fehlt an der nötigen Ausrüstung, die Polizisten sind unterbezahlt und oft selbst Opfer der Unsicherheit - viele haben ihre eigenen Häuser verlassen und ihre Familien in den Polizeistationen in Sicherheit gebracht. Laut der Polizeigewerkschaft SYNAPOHA haben bereits über 3.300 Polizisten ihren Job niedergelegt.
Nun soll eine internationale Sicherheitstruppe die Lage stabilisieren. Nach monatelangen Verhandlungen will Kenia, innerhalb einer vom UN-Sicherheitsrat autorisierten Eingreiftruppe, tausend Polizisten entsenden. Einen Zeitplan gibt es allerdings bisher nicht.
In großen Teilen Haitis haben kriminelle Banden die Kontrolle übernommen. Jetzt wurde mit Kenia ein Abkommen geschlossen, dass Polizisten aus Afrika in Haiti für Sicherheit sorgen.02.03.2024 | 0:20 min
Könnten UN-Schutztruppen helfen?
In der Vergangenheit hat der Einsatz internationaler Truppen nur begrenzt zur Stabilisierung des Landes beigetragen. Zwischen 2004 und 2017 sollte die UN "Mission zur Stabilisierung Haitis", kurz MINUSTAH, den Frieden im Land sichern. Der Einsatz war von schwerwiegenden Problemen geplagt.
Unter anderem gab es zahlreiche Fälle von Vergewaltigungen und sexuellem Missbrauch sowie Prostitution Minderjähriger durch Blauhelmsoldaten. Außerdem war ein Kontingent aus Nepal für das Auslösen einer Cholera-Epidemie verantwortlich, die mindestens 600.000 Menschen betraf und 10.000 das Leben kostete.
In Haiti haben bewaffnete Banden das Nationalgefängnis in der Hauptstadt Port-au-Prince angegriffen. Viele Häftlinge sind getürmt. Dort waren auch mehrere Bandenchefs inhaftiert.04.03.2024 | 0:24 min
Nach Ermordung von Jovenel Moïse - wer regiert Haiti?
Seit 2016 wurde in Haiti nicht mehr gewählt, der Posten des Präsidenten wurde nach der Ermordung von Moïse nicht neu besetzt. Ariel Henry regiert seither als Interimspremierminister; er klammert sich an die Macht, zögert Neuwahlen immer wieder hinaus. Unter politischem Druck aus dem eigenen Land sowie von Seiten der internationalen Gesellschaft hat Henry jetzt angekündigt, Parlamentswahlen bis Mitte 2025 anzusetzen. Ähnliche Ankündigungen zu früheren Zeitpunkten liefen allerdings ins Leere.
Der prominenteste Bandenchef, Jimmy Chérizier, auch bekannt als "Barbecue", will nun den Rücktritt Henrys erzwingen. Er hat die rivalisierenden kriminellen Gangs aufgerufen sich zusammenzuschließen. Unter dem Namen "Vivir Ensemble" (Zusammen Leben) überfielen die Banden Anfang März in einer koordinierten Aktion das Nationalgefängnis - wohl auch, um das Land weiter zu destabilisieren.
Welche Rolle spielt das Erdbeben von 2010 in Haiti?
Haiti ist das ärmste Land der westlichen Hemisphäre. Seine bereits schwache Wirtschaft erholte sich nie von dem schweren Erdbeben von 2010, das über 200.000 Tote forderte - trotz Milliarden an Hilfsgeldern. Die Bandengewalt verschärft die bereits prekäre Versorgungslage der Bevölkerung.
Die Vereinten Nationen sprechen von einer noch nie dagewesenen Nahrungsmittelknappheit - fast fünf Millionen Menschen leiden laut UNO unter akutem Hunger. Der Menschenrechtsbeauftragte Volker Türk spricht von einer "katastrophalen Menschenrechtslage".
Um zu überleben, fliehen immer mehr Haitianer aus ihrem Land. Traditionell suchen viele Zuflucht in der Dominikanischen Republik - das Nachbarland auf der Ostseite der Insel Hispaniola, das wirtschaftlich und politisch stabiler und einer der wichtigsten Handelspartner Haitis ist. Haitianische Migranten sind hier aber immer weniger willkommen, die Regierung verschärfte aufgrund der politischen Unruhen die Grenzkontrollen. 150.000 Haitianer flohen 2023 in die USA.
Steffanie Riess berichtet aus dem Studio Washington über Haiti.
Themen