Chongqing in China: Größte Stadt der Welt, die niemand kennt

    Chongqing im Südwesten Chinas:Die größte Stadt der Welt - die niemand kennt

    ZDF-Korrespondentin Miriam Steimer
    von Miriam Steimer, Peking
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    32 Millionen Menschen auf einem Gebiet so groß wie Österreich. Warum kennt bei uns fast niemand die Stadt Chongqing? Und warum ist sie in China längst ein Touristenmagnet?

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    "Mein Traum", Yang Ping überlegt kurz, dann schießt es aus ihm heraus: "Wenn ich eines Tages ins Ausland reise und Leute mich fragen, woher ich komme, wenn ich dann 'Chongqing' sage, dann hoffe ich, dass sie die Stadt kennen. Dann werden die Ausländer auch Chongqing kennen, nicht mehr nur Peking oder Shanghai."
    Er grinst, steigt auf sein Motorrad und gibt Gas. Der 38-Jährige stammt aus Chongqing und lebt schon sein ganzes Leben in der "Hauptstadt des Motorrads", wie er sie nennt. Viele Hersteller haben ihren Sitz hier und weil die Stadt so hügelig ist, fährt niemand Fahrrad. Selbst Roller kommen an ihre Grenzen.
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    Berg-Stadt an Jangtse und Jialing

    Das Markenzeichen von Chongqing: Treppenstufen. Stadtführer Jili liebt sie, nennt sie sein Freiluft-Fitnessstudio. Er weiß, woher die verschiedenen Spitznamen der Stadt kommen und was sie bedeuten: Berg-Stadt, Feuer-Stadt, Party-Stadt.
    Berg-Stadt, gestapelte Stadt oder 3D-Stadt sagen die Leute. Es gibt Tankstellen auf unterschiedlichen Ebenen und mit einer Karten-App kommt man nicht weit, denn die App zeigt zwar, ob man am richtigen Ort ist, aber nicht, auf welcher Etage.

    Tourismus durch Social-Media

    Dennoch - oder gerade deshalb - ist Chongqing in China und Asien längst ein Touristenmagnet. Die Stadt ist bekannt für kuriose Fotospots, zum Beispiel die Bahn, die durch den achten Stock eines Hochhauses fährt, oder der Platz, der gar kein Platz ist, sondern an dessen Rand es 20 Stockwerke in die Tiefe geht.
    Kuriose Bahnstrecke China
    Chongqings kurioseste Bahnstrecke
    Quelle: imago

    Viele Touristen kommen, weil sie in sozialen Netzwerken Videos davon gesehen haben. "Alle wollen dann ebenfalls so ein Video machen", sagt Jili und lacht. Für ihn als Stadtführer ist das gut. "Früher haben die ausländischen Gäste hier nicht übernachtet, kamen nur in die Stadt, um auf eines der Kreuzfahrt-Schiffe zu kommen." Denn Chongqing liegt an den beiden Flüssen Jangtse und Jialing.

    Feuer-Stadt: Hotpot als Wahrzeichen

    Chongqing ist für eine Spezialität bekannt, die inzwischen in ganz China gegessen wird: Hotpot, Feuertopf. Der soll hier erfunden worden sein. "Damals gab es einige große Metzgereien am Jangtse. Das Fleisch war leicht zu verkaufen, aber die Innereien nicht", sagt Stadtführer Jili. Die Innereien waren günstig zu haben - und kamen in heiße Brühe. Auch heute noch, Fisch, Gemüse und Tofu allerdings ebenso.
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    Der Hotpot ist in Chongqing besonders scharf. Die Einheimischen prahlen gerne damit, wie scharf sie essen können. Und sind begeistert, wenn sich ein Ausländer ebenfalls an die Schärfe rantraut. Davon gibt es in der Megacity nur extrem wenige und seit der Corona-Pandemie noch viel weniger.

    Popkultur im Schatten des Systems

    Auch die Leute in Chongqing seien wie ein Hotpot: brodelnd, sagt Xiao Xian. Sie ist zum Studium nach Chongqing gekommen und geblieben, vor allem wegen der herzlichen Leute. Was auf der Straße manchmal nach Streit klinge, sei einfach ihre laute, enthusiastische Art. Auch Xiao Xian hat hier gelernt, laut zu sein: "Ich liebe laute Musik, ich liebe Rock, ich liebe Rock’n’Roll. Ich schreie gerne und nutze das, um Druck abzubauen."
    Doch beim Konzert mit ihrer Rockband möchte sie nicht gefilmt werden. Einige der Titel sind den lokalen Behörden zu kritisch für ein ausländisches Fernsehpublikum.
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    Party-Stadt: Chongqings besonderer Chauffeur-Service

    Chongqing ist außerdem bekannt für seine Nächte: Um zwei Uhr nachts darauf angesprochen, lacht Shen Xun: "Es ist doch noch nicht spät. In Chongqing dauert das Nachtleben die ganze Nacht lang. Es ist üblich, dass man bis zum Morgen trinkt, bis die Läden schließen."
    Er verdient damit Geld, denn er ist Promille-Fahrer. Die erkennt man an ihren (Elektro-)Klappfahrrädern. In China herrscht am Steuer ein striktes Alkohol-Verbot. Wer was getrunken hat, kann einen Fahrer wie Shen Xun rufen, um nach Hause zu kommen.

    Bau von Hochhäusern in Chongqing, China
    Quelle: reuters

    Chongqing im Südwesten Chinas ist die größte Stadt der Welt – zumindest flächenmäßig. Auf einem Gebiet so groß wie Österreich leben etwa 32 Millionen Menschen. Seit 1997 ist es eine eigene Verwaltungseinheit mit Provinzstatus.

    Die Größe entstand durch die Abtrennung vom östlichen Teil der Provinz Sichuan und Eingemeindung der umliegenden Großregion. Deshalb hat die Stadt ein riesiges Umland mit 38 Bezirken und Kreisen.

    Die Einwohner-Zahl der eigentlichen "Stadt" variiert, je nachdem, wie die Grenze gezogen wird: Im engen Zentrum sind es knapp 11 Millionen Menschen – mehr als dreimal so viele wie in Berlin.

    Durch den wichtigen Binnenhafen am Jangtse-Fluss und die internationale Verkehrsanbindung des Straßen-, Flug- und Schienenverkehrs ist die Stadt der wichtigste Wirtschaftsstandort Westchinas.

    Seine Kunden chauffiert der 23-Jährige in ihrem eigenen Auto nach Hause, sein Fahrrad kommt für den Rückweg in den Kofferraum. Er fährt Autos durch Chongqings Nacht, die er sich selbst gerne leisten können würde.
    Deshalb hat er auch zwei Jobs. Tagsüber arbeitet er in einem Restaurant, seit zwei Monaten zusätzlich nachts als Promille-Fahrer: "Natürlich bin ich müde. Wer will schon zwei Jobs machen. Aber für das Leben, das ich mir wünsche, muss ich fleißig arbeiten." Er liebt die Stadt, aber sie sei ein bisschen zu schnell und die Preise zu hoch.
    Miriam Steimer ist Korrespondentin im ZDF-Studio Peking.
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