100. Todestag: Warum Putin nicht viel von Lenin hält

    100. Todestag des Revolutionärs:Warum Putin nicht viel von Lenin hält

    von Cornelius Janzen
    |

    Vor 100 Jahren starb der russische Revolutionär Lenin. In der ehemaligen Sowjetunion wurde er wie ein Heiliger verehrt. Doch sein Mythos verblasst.

    Der riesige Kopf einer Lenin-Statue liegt seitlich auf einem Podest in einem hohen Raum mit Ziegelwänden. Darüber sind zwei Fenster in die dicken Mauern eingelassen.
    Vor 100 Jahren ist Lenin gestorben. Welche historische Figur verbirgt sich hinter dem Mythos Lenin? Und welche Rolle spielt er in Putins Propaganda?19.01.2024 | 8:58 min
    Überall in den ehemaligen Staaten des Warschauer Paktes werden Lenin-Statuen abgerissen und zerstört. An den Gründervater der Sowjetunion möchte hier kaum noch jemand erinnert werden. Selbst beim russischen Präsidenten hat Wladimir Iljitsch Uljanow (1870-1924) - genannt Lenin - keinen guten Stand.

    Journalist: Putin benutzt Lenin als Sündenbock

    Im Februar 2022, kurz vor Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine, behauptete Wladimir Putin, dass es Lenin und die Bolschewiki gewesen seien, die den ukrainischen Staat erschaffen hätten.
    "Putin beschuldigt Lenin, der Erfinder, Vordenker und Gründervater seines Hauptfeindes Ukraine zu sein, aber nichts könnte weiter entfernt von der historischen Realität sein", sagt der russische Autor und Journalist Michail Zygar. Putin verschweige, dass sich in der Ukraine schon lange Zeit, bevor das Land 1922 Teil der Sowjetunion wurde, eine eigene Nationalbewegung entwickelt hatte.
    Er benutze Lenin als Sündenbock, weil er ihn ansonsten nicht mehr für seine Propaganda benötige, so Zygar. "Er ist keine respektierte historische Figur. Er ist ein Witz.

    Weder Putin noch irgendein anderer russischer Politiker nimmt Lenin ernst.

    Michail Zygar, russischer Autor und Journalist

    Lenin-Statue in Gelsenkirchen
    Quelle: Friedemann Vogel/epa-efe/shutterstock

    Lenin war der Deckname des russischen Revolutionärs Wladimir Uljanow, der am Ende des Ersten Weltkriegs auf den Trümmern des Zarenreichs die Sowjetunion gründete. Geboren wurde er 1870 in der Stadt Simbirsk, heute nach ihm benannt Uljanowsk, an der Wolga.
    In einem jahrelangen Anlauf bereitete der Marxist den Umsturz durch eine kleine Partei entschlossener Berufsrevolutionäre vor. Zeiten in Russland und im Exil in Deutschland und der Schweiz wechselten sich ab.

    Wenige Monate nach dem Sturz des letzten Zaren Nikolaus II. putschte sich Lenins Partei in der Oktoberrevolution 1917 an die Macht.
    Ausgerufen wurde der erste Arbeiter-und-Bauern-Staat der Geschichte. Mit Terror gegen die Bevölkerung hielten sich die kommunistischen Bolschewiki an der Macht. Lenin selbst starb 1924, geschwächt durch ein Attentat und Schlaganfälle. Kurz vor dem Tod warnte er vor dem Machthunger und der Grausamkeit seines Nachfolgers Josef Stalin.

    Quelle: dpa

    Zygar: Putins Mantra ist Stabilität

    Putin sieht Zygar zufolge in Lenin jemanden, der das russische Imperium zerstört habe. Bei der Gründung der Sowjetunion hatte Lenin der Ukraine und allen anderen Sowjetrepubliken weitgehende Selbstbestimmungsrechte und damit auch die Möglichkeit des Austritts aus der Union eingeräumt.
    Nachdem die Sowjetunion 1991 zerfiel, konnten sich Unionsrepubliken wie die Ukraine genau darauf berufen. 2016 sprach Putin davon, dass Lenin buchstäblich eine "Zeitbombe unter dem Gebäude des Staates“ platziert habe.
    Putins Mantra sei Stabilität, sagt Zygar. Und das sei auch ein Grund, warum Putin nichts von den revolutionären Ideen Lenins halte.
     Kinder im kirgisischen Pamirgebirge reuten zu viert auf einem Esel.
    Vor 30 Jahren zerbrach die Sowjetunion und entließ 15 Republiken in die Unabhängigkeit, darunter die Staaten Zentralasiens. Was ist aus ihnen geworden im Schatten Russlands?21.12.2021 | 44:34 min

    Historiker: "Lenin steht für Revolution"

    Auch der Historiker und Lenin-Biograf Hannes Leidinger hält dieses Argument für entscheidend.

    Lenin steht für Revolution. Lenin steht für Klassenkampf, Lenin steht für Zwietracht, Lenin steht für die Revolution als Chaos, für den Aufstand gegen die Obrigkeit, für den Mord an Offizieren und Ministern.

    Hannes Leidinger, Historiker und Lenin-Biograf

    "Das alles will eine Regierung nicht, die den Staatsapparat und das russische Reich vor allem durch Eintracht und Versöhnung dargestellt sehen will", sagte Leidinger weiter.
    Montage: Rechts Joseph Stalin; links ein Foto einer Parade der Roten Armee in Harkov, zusammen mit der Flagge der Sowjetunion mit Textur einer Wand.
    Aus dem Bürgerkrieg entsteht eine neue Macht: die Sowjetunion. Lenin, Stalin und ihre Nachfolger schweißen das Land mit militärischer Macht gegen alle Widerstände zusammen.22.02.2023 | 44:54 min

    Zustimmung für Lenin sinkt

    Noch liegt der einbalsamierte Lenin in einem Mausoleum am Roten Platz in Moskau. Zehntausende besuchen ihn jährlich. Doch laut einer aktuellen Umfrage eines staatlichen Meinungsforschungsinstituts sind 57 Prozent der Befragten der Meinung, Lenin könne auf einem Friedhof beerdigt werden. 47 Prozent haben eine positive Einstellung zu Lenin. Allerdings ist dieser Wert in den letzten Jahren kontinuierlich gesunken.
    Für eine Idealisierung der historischen Figur Lenins gebe es ohnehin keinen Anlass, sagt Leidinger. Denn Lenin habe Gewalt und Zwang für elementar gehalten, um seine Ziele zu erreichen. Dass sein Wirken in Terror und Diktatur mündete, sei unvermeidlich gewesen.

    Wenn man sich seine Taten anschaut, wenn man sich seine Programme anschaut, dann war diese Art von Sozialismus nie ein Sozialismus mit menschlichem Antlitz. Er stand nie für einen demokratischen Sozialismus, der verhandelt, der überzeugt, der reformiert.

    Hannes Leidinger, Historiker und Lenin-Biograf

    Russland im Wandel der Zeit