Görlitz: Staat fördert Zentrum für rechte Anastasia-Bewegung
Schloss Ober Neundorf:Rechtes Anastasia-Zentrum auf Staatskosten
von Elias Hamann
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Fast 900.000 Euro bewilligten Bundesregierung und Freistaat Sachsen Familie Kuhn für den Denkmalschutz. Das Problem: Hinter den Mauern trifft sich die rechte Anastasia-Bewegung.
Knapp 900.000 Euro erhielt Dietrich Kuhn für die Renovierung von Schloss Ober Neundorf in Görlitz. Dort soll ein Zentrum der rechten Anastasia-Bewegung entstehen.
Quelle: ZDF
Seit 2015 renoviert Dietrich Kuhn das Görlitzer Schloss Ober Neundorf gemeinsam mit seiner Familie. Für die deutschlandweit wohl einzigartige Sgraffito-Fassade, die ausschlaggebend für die Förderung war, erhielt der Kies-Unternehmer, der ursprünglich vom Bodensee stammt, knapp 900.000 Euro an Fördermitteln.
Kuhn und seine Familie stehen der rechts-esoterischen Anastasia-Bewegung nah. Auf dem Schloss entstehen Seminarräume, Herberge, Naturheilpraxis und mehr - eine Art 'Anastasia-Zentrum'.
Fast 900.000 Euro kommen vom Steuerzahler
Der Steuerzahler baut in folgenden Größenordnungen mit:
266.600 Euro erhielt Familie Kuhn vom Staatsministerium der Bundesregierung für Kultur und Medien
632.111 Euro bewilligte das Sächsische Ministerium für Regionalentwicklung. 374.126 Euro sind davon bislang ausgezahlt.
Hinzu kommt die Förderung der Stadt Görlitz, die über die Höhe keine Angaben machen möchte sowie 105.000 Euro der privaten Deutschen Stiftung Denkmalschutz. Diese hat die Förderung angesichts der Berichterstattung 2023 eingestellt.
Markus Kemper vom Kulturbüro Sachsen sieht in Schloss Ober Neundorf "das am weitesten gediehene Anastasia-Projekt in Sachsen". Dies begründet er mit der Fülle an Veranstaltungen und der starken Vernetzung der Familie innerhalb der Szene.
Die Anastasia-Bewegung wird vom Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft. Die rechte Szene wächst, wie der jüngste Verfassungsschutzbericht zeigt:
Wie gefährlich ist die Anastasia-Bewegung?
Dietrich Kuhn sagt ZDFheute auf Anfrage, er verstehe die Aufregung nicht. Von einer Bewegung wisse er nichts. Passagen der Anastasia-Bücher, in denen Autor Wladimir Megre von einer jüdischen Weltverschwörung schreibt, habe Kuhn "wohl überlesen". Wer sich darauf versteife, suche "das Haar in der Suppe".
Er schwärmt von einem ökologischen Leben im Einklang mit der Natur. Dieser ökologisch-nachhaltige Anstrich macht die Bewegung gefährlich. Bundesverfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang erklärt:
Die Anastasia-Bewegung basiert auf den Romanen des russischen Autors Wladimir Megre. Anastasia selbst sei eine junge Frau mit übersinnlichen Fähigkeiten, die dem Autor begegnet sei. Hierbei habe sie Megre die "angebliche ‚Wahrheit‘ der Menschheit" offenbart. Die Buchreihe verbreitet antisemitische, demokratiefeindliche und rassistische Inhalte. Zentral hierbei ist ein esoterisch-ökologisch geprägtes Denken. Seit Juni 2023 ist bekannt, dass der Bundesverfassungsschutz die Bewegung als rechtsextremen Verdachtsfall behandelt. Ziel der Bewegung ist es, autarke Strukturen und sogenannte "Familienlandsitze" aufzubauen. Es bestehen Verbindungen z.B. zur Reichsbürgerszene.
Quelle: Bundesverfassungsschutz
In dieser Woche spricht Kuhns Frau Simone einmal mehr auf der wöchentlich stattfindenden Görlitzer Montagsdemonstration. Zunächst legt sie den rund 470 Teilnehmern "ans Herz", die Anastasia-Buchreihe zu lesen. Darauf folgen Aufforderungen, dem System, das sie mit einem Computerspiel vergleicht, den Rücken zu kehren. Dietrich Kuhn ist ebenfalls im Publikum, in dem immer wieder rechtsextreme Symbole zu sehen sind. Am Mittag noch hatte er auf Schloss Ober Neundorf gesagt, er ordne sich keinem politischen Lager zu.
Wieso finanziert der Staat das Anastasia-Zentrum mit?
Doch wie kann es sein, dass Familie Kuhn beim Aufbau eines 'Anastasia-Zentrums' fast 900.000 Euro an staatlicher Förderung erhält? Das Staatsministerium der Bundesregierung für Kultur und Medien schreibt auf Anfrage, man fördere gezielt Maßnahmen im Sinne der Denkmalpflege. Eine Sprecherin des Hauses äußert: "Eine Gesinnungsprüfung von Antragstellenden für jegliche staatliche Förderung nicht-inhaltlicher Art (…) wäre auch nicht mit den Grundsätzen eines demokratischen Rechtsstaates vereinbar."
Im Freistaat Sachsen ist die Förderfähigkeit eines Denkmals ausschließlich an das Denkmal selbst gebunden, nicht an die Besitzer. Grundsätzlich stehe es jedem Ministerium frei, beispielsweise ein Bekenntnis zur Freiheitlich Demokratischen Grundordnung in die Förderrichtlinien aufzunehmen, berichtet ein Sprecher der SPD-Landtagsfraktion.
Die Anastasia-Bewegung gilt als antisemitisch. Antisemitismus nimmt in Deutschland zu:
Im Sächsischen Sozialministerium wird das so gehandhabt, ein Verstoß hat die Rückforderung der Zuwendung zur Folge. Albrecht Pallas, Innenpolitischer Sprecher der SPD erklärt, er habe das für die Denkmalpflege zuständige und CDU-geführte Sächsische Ministerium für Regionalentwicklung in der Vergangenheit mehrfach darauf hingewiesen, die Denkmalförderung durch entsprechende Förderrichtlinien "extremismusfest" zu machen. Bislang ist das nicht geschehen.
Förderung bislang unabhängig von Verfassungstreue
Im Gespräch mit ZDFheute erklärt Frank Meyer, Pressesprecher des Sächsischen Ministeriums für Regionalentwicklung, man wolle in Folge der Berichterstattung über Schloss Ober Neundorf innerhalb der Landesregierung Gespräche anstoßen, ob eine Anpassung der Förderrichtlinien sinnvoll sei, um solche Fälle künftig zu vermeiden. Dies müsse dann jedoch für alle Förderrichtlinien gelten, nicht nur für die des Denkmalschutzes.
Solange nichts unternommen wird, kann weiterhin jeder, der in Sachsen ein Denkmal besitzt, auf staatliche Unterstützung hoffen - unabhängig von seiner Verfassungstreue. Aktuell befinden sich Reichsbürger um den selbsternannten 'König von Deutschland' Peter Fitzek im Kaufprozess für das Kanzleilehngut Halsbrücke in Sachsen. Wie Schloss Ober Neundorf: ein Denkmal.
Elias Hamann arbeitet im ZDF-Landesstudio Dresden.