Stephan Weil hat Grund zu jubeln. Er bleibt Ministerpräsident - auch weil er Erfolgsfaktor Nummer eins für die SPD war.
Quelle: dpa
Bei der
Landtagswahl in Niedersachsen bleibt die
SPD stärkste Partei vor der
CDU, wobei beide Regierungsparteien Verluste haben. Die
Grünen legen klar zu, die
AfD verzeichnet nach neun verlustreichen Landtagswahlen erstmals wieder Gewinne. Die
FDP bewegt sich im Bereich der Fünf-Prozent-Hürde, die Linke schafft keine Mandate.
SPD-Wahlsieg: Ansehen, Kompetenzen und Kandidat
Gestützt auf viel Zuspruch aus der älteren Generation basiert der
SPD-Erfolg in Niedersachsen auf guter Regierungsarbeit, hohem Vor-Ort-Ansehen und einem überlegenen Spitzenkandidaten Stephan Weil. Bei eingetrübter Konjunktur und selten großen persönlichen Zukunftssorgen genießt die SPD zudem in sozialen und ökonomischen Fragen mehr Vertrauen als die CDU, die - neben einem nur mäßigen Standing vor Ort - erneut auch keinen bundespolitischen Rückenwind hat.
Die Grünen punkten beim Top-Thema
Energiepolitik, hinzu kommt relativ viel Zustimmung für eine rot-grüne Koalition, die AfD profitiert fast ohne eigenes Zutun von der multiplen Krisensituation.
Spitzenkandidaten: Mit Weil durch unsichere Zeiten
Der Erfolgsfaktor Nummer eins heißt bei der SPD Stephan Weil: Mit Werten knapp unter der Ministerpräsidenten-Spitzenklasse überzeugt der Amtsinhaber mit seiner Bilanz (gute Arbeit: 71 Prozent) und hohem Ansehen.
Auf der +5/-5-Skala liegt Weil (2,1) klar vor CDU-Herausforderer Bernd Althusmann (1,2). Als Regierungschef wollen nur 26 Prozent Althusmann, aber 55 Prozent Weil, der das Land nach Meinung der Befragten auch am ehesten durch die unsicheren Zeiten führen kann.
Bundespolitik: Keinerlei Rückenwind aus Berlin
Neben Stephan Weil profitiert die Niedersachsen-SPD von guter Arbeit und hoher Reputation vor Ort. Vom Bund kommt dagegen kaum Rückenwind: Hier überzeugen weder Bundeskanzler
Olaf Scholz (Ansehen +5/-5-Skala: 0,9) noch die
Bundesregierung (Arbeit: 0,5), wobei die Kritik an der Ampel besonders die FDP trifft.
Bei einer starken bundespolitischen Komponente der Wahl bricht die FDP beim Ansehen als Bundespartei ein (minus 0,2; 2017: 0,9), die Grünen verlieren weniger stark (0,4; 2017: 1,0). Die Bundes-SPD (1,3; 2017: 1,3) ist stabil und liegt so vor einer CDU, die - angeführt von einem schwachen Parteichef
Friedrich Merz (minus 0,2) - als Bundespartei heftige Imageeinbußen hat (0,6; 2017: 1,7).
Themen: Energie und steigende Preise
In
Niedersachsen rangiert die CDU beim Ansehen ebenfalls hinter der SPD, hinzu kommen inhaltliche Defizite: In einem Umfeld, in dem Wirtschaftslage und Zukunftsvorbereitung skeptischer gesehen werden als 2017, hat die CDU in diesen Politikfeldern Kompetenzeinbußen. Die SPD ist weitgehend stabil und genießt hier ebenso wie bei "Abmilderung der steigenden Kosten", "Bildung", "Infrastruktur" oder "Soziale Gerechtigkeit" auch das meiste Vertrauen.
Bei der Energiepolitik, neben "steigende Preise/Kosten" das wichtigste Thema, sind die Grünen stark, FDP und AfD bleiben bei den Parteikompetenzen wie so oft äußerst schwach.
AfD: Krisenprofiteur ohne echte Kompetenzen
Gewählt wird die AfD für 20 Prozent aller Befragten wegen ihrer "politischen Forderungen", aber für 71 Prozent als "Denkzettel", wobei sich die Unzufriedenheit im AfD-Lager allen voran gegen die Politik und die Protagonisten im Bund richtet.
Für 66 Prozent nutzen der AfD jetzt aber auch "die
Ukraine-Krise und die hohen (Energie-)Preise", während Pessimismus und ökonomische Sorgen im AfD-Lager extrem groß ausfallen. 74 Prozent aller Befragten, aber nur 17 Prozent im AfD-Lager, befürworten die Unterstützung der Ukraine, auch wenn das zu hohen Energiepreisen führt.
Wer wählte wen: Großes Altersgefälle bei der SPD
Die Basis für den SPD-Erfolg legt einmal mehr die ältere Generation, wobei sich das Altersgefälle weiter verschärft: Bei den ab 60-Jährigen schafft die SPD starke 42 Prozent (unverändert), bei den unter 30-Jährigen kommt sie nach erheblichen Verlusten nur noch auf 22 Prozent (minus neun). Die CDU verliert bei den unter 30-Jährigen noch etwas stärker und erreicht 19 Prozent (minus elf), die Grünen erzielen hier 20 Prozent (plus sieben).
Unter Wähler*innen mit Hochschulabschluss liegen die Grünen mit 27 Prozent (plus elf) jetzt vor der CDU mit 24 Prozent (minus sechs), die SPD kommt hier auf 28 Prozent (minus drei). Unter jüngeren Wähler*innen mit niedriger Schulbildung ist die AfD besonders stark. Viel Zuspruch kommt für die AfD außerdem wie gewohnt von den 30- bis 44-jährigen Männern, wo neben SPD und CDU auch die FDP sichtbar verliert.
Koalitionen: Am ehesten Rot-Grün
Überlagert von diversen Krisen war die
Niedersachsen-Wahl zunächst ein Votum für Stephan Weil, der als geschätzter Ministerpräsident in einem verunsicherten Umfeld stabile Führung repräsentiert. "Gut" fänden als Koalition 42 Prozent Rot-Grün, 33 Prozent Rot-Schwarz und 25 Prozent Schwarz-Grün (schlecht: 42, 42 bzw. 56 Prozent). Die FDP spielt im Machtpoker keine Rolle mehr, nachdem sie auch wegen viel Unzufriedenheit mit der FDP in der Bundesregierung ihr drittes Landtagswahl-Desaster in Folge erlebt.
Die Zahlen basieren auf einer telefonischen Befragung der Forschungsgruppe Wahlen unter 1.520 zufällig ausgewählten Wahlberechtigten in Niedersachsen in der Woche vor der Wahl sowie auf der Befragung von 18.794 Wähler/innen am Wahltag.
Quelle: Forschungsgruppe Wahlen