Sieg vor Gericht:Verfassungsschutz darf AfD beobachten
von Julia Klaus und Samuel Kirsch, Köln
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Der Verfassungsschutz darf die AfD als rechtsextremen Verdachtsfall einstufen. Damit kann die Partei als Ganzes beobachtet werden. Das könnte fatal für die AfD sein.
Die AfD steht im Verdacht, sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung zu wenden. Das ist zwar nur ein Verdacht, aber einer mit großer Wirkung. Der Verfassungsschutz darf die Partei deshalb als "Verdachtsfall" mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachten, das heißt: Mails mitlesen, Telefone abhören, V-Leute einsetzen. Das entschied das Verwaltungsgericht Köln am Dienstag.
Zahlreiche Äußerungen von AfD-Vertretern hatte der Verfassungsschutz vor Gericht angeführt - als Beleg für pauschale Muslim-, Migranten- oder Demokratiefeindlichkeit. So ging es etwa um die Behauptung, dass es "Passdeutsche" gebe im Gegensatz zu "ethnischen Deutschen". Oder die rassistische Unterstellung Björn Höckes, Afrikaner vermehrten sich anders als Europäer.
Entscheidung über vier AfD-Klagen
In einem zehnstündigen Verhandlungsmarathon entschied das Gericht im großen "Kristallsaal" der Messe Köln insgesamt gleich vier AfD-Klagen. Neben der Beobachtung der Gesamtpartei ging es auch um die mittlerweile aufgelöste Parteiorganisation "Flügel" und die Jugendorganisation "Junge Alternative". Das wurde verhandelt:
- Die AfD wollte verhindern, dass der Verfassungsschutz die Gesamtpartei als Verdachtsfall einstuft. Mit dieser Klage scheiterte sie. Nicht nur einzelne Landesverbände, sondern die gesamte Bundespartei darf der Verfassungsschutz nun beobachten. Ob er das auch nutzt, ist eine andere Frage.
- Bereits als gesichert extremistisch eingestuft wird die Parteiströmung "Flügel" - obwohl diese sich mittlerweile offiziell aufgelöst hat. Auch gegen diese Einstufung klagte die AfD und bekam hier Recht. Laut Gericht hat der Verfassungsschutz nicht genügend Belege dafür, dass der "Flügel" inoffiziell fortbesteht, wie es der Verfassungsschutz vermutet.
- Die AfD wehrte sich zudem gegen die Behauptung des Verfassungsschutzes, der "Flügel" zähle etwa 7.000 Mitglieder. Die Zahl hatte das Bundesamt in einer Pressemitteilung genannt. Das beruhte auf Schätzungen, was dem Gericht nicht ausreichte. Der Verfassungsschutz muss die Angabe zur Mitgliederzahl nun revidieren.
- Die AfD-Jugendorganisation stuft der Verfassungsschutz als rechtsextremistischen Verdachtsfall ein. Und das kann auch so bleiben. Deren Programm "Deutschland-Plan" enthalte Hinweise auf verfassungsfeindliche Positionen, bestätigte das Gericht den Verfassungsschutz.
Urteil könnte AfD-Mitglieder abschrecken
Das Urteil des Verwaltungsgerichts zur Gesamt-AfD ist ein Novum in der deutschen Parteiengeschichte. Noch nie durfte eine Bundestagspartei als Ganzes vom Geheimdienst beobachtet werden. Der AfD könnte das enorm schaden. Von ihren rund 30.000 Mitgliedern könnten einige dem Ex-Vorsitzenden Jörg Meuthen folgen und aus der Partei austreten - besonders Beamte, an deren Verfassungstreue kein Zweifel bestehen darf, könnte das Urteil abschrecken.
Es dürfen noch keine nachrichtendienstliche Mittel eingesetzt werden - es wird also nicht überwacht. Doch es liegen "erste tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer extremistischen Bestrebung" vor. Der Verfassungsschutz darf öffentlich einsehbare Informationen sammeln - etwa, wenn eine Person etwas bei Facebook postet, bei einer Demo auftritt oder dort eine Rede hält.
Ab jetzt dürfen nachrichtendienstliche Mittel eingesetzt werden. Beim Verdachtsfall liegen für den Verfassungsschutz "hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer extremistischen Bestrebung" vor.
Wenn sich die "tatsächlichen Anhaltspunkte zur Gewissheit verdichtet haben", ist die oberste Stufe erreicht. Der Verfassungsschutz darf beobachten - und hat bei der Verhältnismäßigkeits-Abwägung mehr Spielraum.
Eine Überwachung ist ein starker Eingriff in die Grundrechte, der immer begründet sein muss. Beim Verdachtsfall muss der Verfassungsschutz noch stärker abwägen, ob eine Maßnahme es wert ist, um eine bestimmte Information zu generieren. Ihr Nutzen muss größer sein als der Schaden, den sie möglicherweise auch verursacht - es geht immer um die Frage der Verhältnismäßigkeit.
Quelle: Julia Klaus
Quelle: Julia Klaus
Der Verfassungsschutz darf mit der Beobachtung der Gesamtpartei allerdings nicht sofort beginnen. Derzeit gilt noch ein so genannter Hängebeschluss, mit dem das Gericht dem Nachrichtendienst die Beobachtung vorläufig untersagt hatte. Mit einem weiteren Eilbeschluss werden die Richterinnen und Richter zeitnah regeln, wie zu verfahren ist, bis rechtskräftig über den Fall entschieden ist. Denn gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln kann noch Berufung eingelegt werden.
Verfassungsschutz-Chef Haldenwang begrüßt Urteil
Die Parteispitze verbreitete nach der Entscheidung das Narrativ eines instrumentalisierten Geheimdienstes: "Wir sehen den Verfassungsschutz weiter als politisch motivierte Behörde an", sagte Parteichef Tino Chrupalla nach der Urteilsverkündung. Die Partei behalte sich vor, Rechtsmittel gegen die Entscheidung einzulegen: "Wir werden die schriftliche Bewertung abwarten und darauf entsprechend reagieren."
Verfassungsschutz-Chef Thomas Haldenwang begrüßte das Urteil. Gegenüber dem ZDF sagte er:
Mit der Einstufung als Verdachtsfall könne man auch wieder öffentlich darüber reden, "dass wir in der AfD Bestrebungen sehen, die gegen die freiheitlich Demokratische Grundordnung gerichtet sind", so Haldenwang weiter.
AfD noch im Geheimdienst-Kontroll-Gremium
Die AfD darf vom Verfassungsschutz beobachtet werden - und sitzt doch selbst in einem Gremium, das die Geheimdienste kontrolliert. Das sogenannte parlamentarische Kontrollgremium besteht aus derzeit neun Bundestagsabgeordneten. Und es steht kurz vor einer Wiederwahl.
Der AfD-Kandidat Joachim Wundrak hat nun denkbar schlechte Chancen. Es heißt, man werde keinen AfD-Kandidaten für das Geheimdienst-Kontroll-Gremium wählen - ähnlich war das Parlament mit dem Posten des Bundestags-Vize vorgegangen. AfD-Kandidaten erhielten nie die erforderliche Mehrheit.
Ob die Causa Verfassungsschutz der AfD an der Urne schadet? Drei Landtagswahlen stehen bald an: im Saarland, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen. Dort wird sich zeigen, ob das Urteil Wähler abschreckt.
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