Pläne der britischen Regierung :Warum London nach Ruanda abschieben will
von Hilke Petersen
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Großbritannien lässt in Ruanda Unterkünfte für abgeschobene Geflüchtete bauen - obwohl der Europäische Gerichtshof die Pläne vorerst stoppte. Was hat die britische Regierung vor?
Flüchtlinge, die illegal in Großbritannien ankommen, sollen festgenommen und sofort nach Ruanda geflogen werden. Die Regierung setzt auf Abschreckung. Aber ihr Plan geht nicht auf.04.07.2023 | 13:24 min
Die britische Regierung kämpft entschlossen gegen die, die es bis ins Brexitland schaffen. Fast 46.000 Flüchtlinge erreichten die britische Küste im vergangenen Jahr laut offizieller Statistik. Rekordzahlen auch bereits in diesem Sommer. Die Geflüchteten werden sofort festgenommen und sollen in das 6.600 Kilometer entfernte, ostafrikanische Ruanda abgeschoben werden. Nur dort könnten sie dann einen Asyl-Antrag stellen. Die Regierung setzt auf Abschreckung und versucht, eins der größten Brexit-Versprechen einzulösen: weniger Flüchtlinge.
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte stoppte Abschiebeflug
Vor gut einem Jahr, im Juni 2022, startet die Regierung ihren ersten Abschiebe-Versuch. Von einer Militärbasis soll ein Flugzeug mit Geflüchteten abheben. Doch kurz vorher schreitet der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ein und verbietet die Abschiebung.
Ibrahim saß an Bord dieses Fliegers. Er ist aus Syrien geflohen und sitzt - wie Tausende andere - schon seit Jahren in Flüchtlingsunterkünften. Eine mögliche Abschiebung nach Ruanda: Diese Vorstellung macht ihm Angst.
Das Flugzeug, das Ibrahim und viele andere nach Ruanda bringen sollte, hob nicht ab. Seine Zukunft: weiter ungewiss.
Großbritannien baut Unterkünfte für Abgeschobene in Afrika
Von europäischen Richtern zunächst geschlagen, treibt die britische Regierung ihr ehrgeiziges Projekt mit den Partnern in Ruanda dennoch voran. Längst werden in Afrika die Unterkünfte gebaut, in denen die Abgeschobenen einst wohnen sollen.
Umgerechnet 160 Millionen Euro hat die Regierung bereits an Ruanda gezahlt. Jede einzelne Abschiebung würde den britischen Steuerzahler rund 197.000 Euro kosten. Teurer noch, als die Menschen in Großbritannien unterzubringen, räumt das Innenministerium ein. Und wird dennoch nicht müde, von seinem Vorhaben zu schwärmen:
Die dunkle Vergangenheit der Sklaverei überschattet auch das britische Königshaus. Noch ist Charles III. Staatsoberhaupt von 15 Ländern. Aber der Mythos der Monarchie bröckelt. 15.06.2023 | 29:41 min
Heftiger Ideologiestreit im Parlament: Brexiteers gegen Brexit-Gegner
Im Parlament hingegen kämpft die Regierung mit dem politischen Gegner. Ein großes Blame-Game ist im Gange, seit die Konservativen ihr Gesetzesvorhaben verfolgen - entlang ideologischer Gräben. Brexiteers gegen Brexit-Gegner. Rishi Sunak nennt Labour-Chef Keir Starmer im März einen "linken Juristen, der uns im Weg steht". Und sagt:
Aber wohl nicht die der Richter. Ende Juni 2023 entscheidet der High Court in London: Abschiebungen nach Ruanda seien rechtswidrig. Das Land sei nicht sicher. Und die Verwaltungen dort überfordert, die Asylverfahren durchzuführen. Doch die Tory-Regierung gibt auch jetzt nicht auf. Premierminister Sunak strebt ein Berufungsverfahren vor dem Supreme Court an, dem höchsten britischen Gericht.
Auch in Ruanda gibt es Widerstand gegen die Abschiebepläne
Nicht nur in Großbritannien stellt sich die Opposition auf. Auch in Ruandas Hauptstadt Kigali gibt es Gegner des Deals. Auch wenn noch unklar ist, wie viele Großbritannien hierher wirklich abschieben könnte: Im sich entwickelnden Ruanda gebe es schon jetzt nicht genug Jobs und natürliche Ressourcen für alle - befürchtet Frank Habineza, der Vorsitzende der grünen Oppositionspartei. Zudem hätten sowohl Ruanda als auch Großbritannien die UN-Flüchtlingskonvention unterzeichnet, die Länder verpflichtet, angemessen mit Flüchtlingen umzugehen und Schutz zu bieten.
Ruandas Präsident Kagame hingegen besucht im Mai Rishi Sunak in Downing Street Number Ten: Gegenseitige Bestätigung, dass man auf dem richtigen Weg sei - allen Rückschlägen bei der britischen Asylpolitik zum Trotz. Man gebe ein gutes politisches Beispiel, finden die beiden.
Sunak sucht Hilfe bei Freunden in Europa
Selbst in Europa sucht der britische Premierminister nach Verbündeten, um die Flüchtenden schon auf der französischen Seite des Kanals aufzuhalten. Präsident Macron soll helfen, denn Sunak ist unter Druck, seinen Ruanda-Plan in die Tat umzusetzen: Die Boote stoppen - das hat er als eins der wichtigsten Ziele seiner Regierung ausgerufen. Zusammen mit den Franzosen beschließen die Briten im März 2023, dass ein Arrest-Zentrum in Nord-Frankreich entstehen soll. Und weitere 500 Beamte an den französischen Küsten patrouillieren werden, um hier mehr Flüchtlinge daran zu hindern, Boote nach England zu besteigen. Auch das wird teuer für Großbritannien: Umgerechnet 667 Millionen Euro zahlt die Regierung an Frankreich.
Großbritannien in der Identitätskrise
Was der britische Umgang mit Menschen in Not sagt über das Land, das die Flüchtlinge einfach nur loswerden will - die Debatte quält Großbritannien. Unvereinbar mit der Identität der Briten, finden viele. Die konservative Asylpolitik spaltet.
Es ist unklar, ob die Regierung ihr gewünschtes Ziel am Ende erreichen kann und Flugzeuge nach Ruanda starten werden. Das House of Lords will Änderungen am Ruanda-Gesetz durchbringen. Doch die Konservativen ringen darum mit allen Mitteln. Und gegen alle Zweifel.