70 Jahre DDR-Volksaufstand: Magdeburg begehrte auf
70 Jahre DDR-Volksaufstand:Magdeburg begehrte auf - bis die Panzer kamen
von Annette Pöschel
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Die Erinnerung an den 17. Juni 1953 sind geprägt von den Bildern aus Ost-Berlin, weil dort die meisten Fotos und Filmaufnahmen entstanden. Doch es brannte an rund 700 Orten.
Für den zwölfjährigen Klaus Kutschmann beginnt der Tag des Aufstands ungewöhnlich. Plötzlich, mitten im Unterricht, kommt ein Lehrer in die Klasse und schickt alle Schüler nach Hause - und damit ungewollt mitten in einen Demonstrationszug, der quer durch Magdeburg führt. Sie halten Plakate hoch, fordern in Sprechchören "Freie Wahlen" und "Wiedervereinigung".
Magdeburg war in jener Zeit ein Zentrum des Schwermaschinenbaus, Zehntausende malochten hier. An jenem Morgen hatte in der Formerei der Ernst-Thälmann-Werke die Frühschicht ihre Arbeit niedergelegt und zog los.
Von Werk zu Werk, von Straße zu Straße - mit dem Ruf "Magdeburger folgt den Berlinern"! Auf ihrem Weg schließen sich immer mehr Bevölkerungsschichten an: Handwerker, Verkäufer, Schüler, sogar Parteimitglieder.
Demonstranten wollen politische Gefangene befreien
Am Vormittag vereinen sich mehrere Demonstrationszüge, um zum Polizeipräsidium, zum Bezirksgericht und zur Haftanstalt in Sudenburg zu marschieren. Sie wollen dort politische Gefangene befreien. Als die Staatsmacht ihren Forderungen nicht nachkommt, stürmen sie das Polizeigelände.
Etwa zur gleichen Zeit hatte sich auch der zwölfjährige Hans-Jürgen Anton mit seinem Vater zum Justizkomplex aufgemacht. Als sie am Gericht ankommen, haben Aufständische schon das Gebäude besetzt. Von oben werfen sie Bilder von Mitgliedern der Partei- und Staatsführung aus dem Fenster. Die dann unten verbrannt werden.
Stimmung des Aufbruchs, der möglichen Veränderung
Wenige Meter weiter versuchen Magdeburger ins Gefängnis einzudringen. Schüsse fallen.
Die beiden Schüler Hans-Jürgen Anton und Klaus Kutschmann empfinden die Stimmung an jenem Sommertag anfänglich als gelöst. Als eine des Aufbruchs, der möglichen Veränderung. Bis am Mittag Panzer der sowjetischen Besatzungsmacht anrollen.
Während des Volksaufstandes 1953 saßen Soldaten mit Kalaschnikows auf Panzern. Zeitzeuge Hans-Jürgen Anton weiß noch, wie das der Bevölkerung Angst machte.16.06.2023 | 0:31 min
Ausnahmezustand und Ausgangssperre
Hans-Jürgen und sein Vater flüchten nach Hause. Am Gefängnis hier ist gescheitert, was im Norden Magdeburgs glückt: 221 Häftlinge werden befreit - die Polizei muss sogar Entlassungspapiere ausstellen, erzählt Daniel Bohse, Direktor der Gedenkstätte Moritzplatz:
Zeitzeuge Hans-Jürgen Anton und sein Vater versuchten gemeinsam, Menschen aus dem Gefängnis zu befreien:
Um 14 Uhr verhängt die Besatzungsmacht den Ausnahmezustand - bis 21 Uhr gilt eine Ausgangssperre. Die Soldaten haben den Aufstand niedergeschlagen.
Aufständische standrechtlich erschossen
Die Bilanz am Ende des 17. Juni in Magdeburg: Allein am Justiz-Komplex werden zwei Polizisten und ein Stasi-Mitarbeiter erschossen, naturgemäß gut dokumentiert in den Stasi-Akten. Kaum untersucht, der Tod von drei Zivilisten.
Flugblatt für die Magdeburger Bevölkerung
Quelle: ZDF
Am nächsten Tag werden zwei Aufständische standrechtlich erschossen - auf Befehl der sowjetischen Militärs. Ein weiterer Magdeburger wird - ohne schlüssige Beweise - zunächst zu lebenslanger Zuchthausstrafe und dann doch zum Tode verurteilt, durch Enthauptung hingerichtet. Nur einige Schicksale im Volksaufstand der DDR, in dem sich vermutlich eine Million Menschen gegen die Regierung erhob. Mindestens 55 Menschen kamen dabei ums Leben.