Interview
Erneuerbare Energien:Windkraft im Wald: Ergibt das Sinn?
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Um die Ausbauziele der Erneuerbaren zu erreichen, werden Wälder für die Windkraft geöffnet. Keine gute Idee findet Pierre L. Ibisch, Professor für Naturschutz.
Windräder im Wald? Ein eher ungewöhnlicher Anblick.
Quelle: dpa/Nicolas Armer
ZDFheute: Warum sollten Windkraftanlagen nicht in Wäldern errichtet werden?
Prof. Pierre L. Ibisch: Da werden Tatsachen geschaffen, die lange nachwirken. Wenn sich in zehn Jahren die Erkenntnis durchsetzt, dass Windkraftanlagen im Wald diesem schaden, wird es sehr schwierig sein, die Anlagen, ihre Betonfundamente und die für den Schwerlastverkehr ausgelegten Zuwegungen wieder zurückzubauen.
ZDFheute: Was ist das Problem?
Ibisch: Bereits jetzt ist der Wald in Deutschland erheblich zerschnitten, etwa durch Forstwege und Rückegassen. Wir haben das wissenschaftlich ausgewertet und kamen zu dem Ergebnis: Bei einer Auflösung von 30 Metern gibt es hierzulande fast 2 Millionen Wald-Fragmente und 98 Prozent dieser Fragmente sind kleiner als ein Quadratkilometer. Rundherum sind Flächen, die mehr oder weniger unfreundlich sind zum Wald, die Randeffekte ausüben. Durch die Errichtung von Windkraftanlagen im Wald und den Bau von Straßen, die zu den Anlagen führen, wird dieses Problem verschärft.
Quelle: P. Ibisch
... ist Professor für Naturschutz an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde und Gründungsdirektor des Center for Econics and Ecosystem Management. Er forscht unter anderem zu Ökosystemfunktionen und -leistungen im globalen Wandel. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf Waldökosystemen, ihrer Funktionalität, Bedrohung und Erhaltung.
ZDFheute: Was sind das für Randeffekte?
Ibisch: Ein vor dem Hintergrund der Klimakrise besonders wichtiger Randeffekt sind die hohen Temperaturen, die an heißen Sommertagen auf den geschotterten Zuwegungen oder Standflächen der Windkraftanlagen entstehen. Da erreichen wir ohne weiteres 55 Grad Celsius und mehr auf der Oberfläche. Diese Hitze führt dazu, dass heiße Luft aufsteigt und dem Wald Wasser entzieht, also zur Austrocknung führt und das Waldbrandrisiko erhöht.
Satellitenfotos von Teilen des Windparks bei Lieskau (Brandenburg) mit Oberflächentemperatur.
Quelle: Analyse der Landoberflächentemperaturen: Charlotte Gohr, Centre for Econics and Ecosystem Management, HNEE, mit Google Earth Engine auf der Grundlage von Landsat-Satellitendaten
ZDFheute: Laut Bundesminister Robert Habeck sollen kaputte Waldflächen für die Windkraft genutzt werden. Ein guter Plan?
Ibisch: Nur wenn wir der Meinung sind, da in Zukunft keinen Wald mehr sehen zu wollen. Wenn wir aber den Anspruch haben, dass sich der Wald wieder entwickelt, ein Mischwald, der der Klimakrise besser trotzt, dann sollten wir daran denken, dass wir mit der Fragmentierung, den Wegen und Anlagen die Chance der Waldentwicklung verschlechtern, da sich Randeffekte wie Hitze und Trockenheit auch auf nachwachsende Laubbäume ungünstig auswirken.
ZDFheute: Robert Habeck propagiert die Idee, von den Einnahmeerlösen aus der Windkraft im Wald denselben wieder aufzuforsten.
Ibisch: Bislang sehe ich nicht, wie garantiert werden soll, dass die Erlöse wirklich dem Wald zugutekommen. Tatsächlich gibt es einen erheblichen Bedarf, dass eine Laubwaldentwicklung in Gang kommt. Aber häufig werden die Fehler der Vergangenheit wiederholt. Es werden Nadelbäume - diesmal vor allem Douglasien und japanische Lärchen - in Reih und Glied gepflanzt, obwohl gar nicht klar ist, ob diese Bäume unter dem Einfluss des Klimawandels je in einem Sägewerk landen werden.
Stattdessen müsste man, um einen widerstandsfähigen Wald zu erhalten, schauen, was stellt sich von alleine ein, und erst eingreifen, wenn man sieht, da wächst nichts. Das Entscheidende ist die Vielfalt in der Zusammensetzung der Arten und des Alters der Pflanzen, ein bisschen natürliches Chaos. Aber das muss man wollen. Und daran hapert es im Moment.
ZDFheute: Windenergie soll dem Klimaschutz dienen, also CO2 vermeiden. Leistet ein Wald dasselbe?
Ibisch: Wenn ich mich mit Wald beschäftige, denke ich nicht nur an Kohlenstoff oder CO2. Ein Wald hat viele weitere Funktionen: Er bildet Boden, ist hoch relevant für den Wasserkreislauf. Er ist ein Ökosystem, das gerade in der Klimakrise wichtige Leistungen für uns erbringt, so etwa die Kühlung der Landschaft. Und natürlich ist er auch Kohlenstoffspeicher. Aber der Wald ist nicht in erster Linie zum Lösen des Klimaproblems da.
Der Ausbau der Windkraft in Deutschland geht wieder voran. 331 Windräder wurden im ersten Halbjahr 2023 gebaut. Wildpoldsried in Bayern zeigt, wie eine unabhängige Stromversorgung aussehen kann.18.07.2023 | 1:47 min
ZDFheute: Was also schlagen Sie vor?
Ibisch: Der Ausbau der Erneuerbaren Energien hat höchste Priorität. Ich würde mir allerdings wünschen, dass der Fokus dabei auf den Flächen liegt, die schon versiegelt sind, etwa in städtischen Räumen, wo die Energie verbraucht wird oder entlang von Straßen. Sicherlich gibt es noch weitere Alternativen, als unsere letzten Fragmente von ohnehin schwer geschädigtem Wald für diese Energiegewinnung herzunehmen.
Das Interview führte Birgit Hermes
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