Mutter gegen Jugendamt: Muss Behörde Rekordsumme zahlen?
Mutter gegen Jugendamt Lippe:Muss Behörde Rekordsumme zahlen?
von Heiko Rahms, Detmold
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Prozessauftakt gegen das Jugendamt des Kreises Lippe: Geklagt hat eine Mutter, deren Sohn rechtswidrig vom Amt in Obhut genommen worden war. Die Mutter verlangt Schadenersatz.
Welche Auswirkungen überlastete Gerichte und überforderte Behörden auf das Leben haben können.12.12.2022 | 10:38 min
"Ich hatte Angstzustände und war nicht mehr richtig arbeitsfähig" - so beschreibt Anna Korn (Name geändert, Anm. d. Red.) vor dem Detmolder Landgericht ihre Lage, nachdem ihr Sohn Anton vom Jugendamt des Kreises Lippe in Obhut genommen worden war. Ohne richterliche Anordnung erschienen im Jahr 2019 Mitarbeiter des Jugendamts im Kindergarten von Anton. Als die Mutter ihren Sohn abholen wollte, teilten sie ihr mit, dass sie Anton mitnehmen und zum Vater bringen würden. Damals begann der Kampf der Mutter um ihr Kind. Das ZDF berichtete.
Die Inobhutnahme war der Höhepunkt eines Sorgerechtsstreits. Das Verwaltungsgericht in Minden urteilte später, dass die Inobhutnahme rechtswidrig war. Bevor Anton in Obhut genommen wurde, lebte er bei der Mutter und verbrachte jedes zweite Wochenende beim Vater. Doch irgendwann weigerte der Junge sich wieder zum Vater zu gehen, so Anna Korn. Es kam der Verdacht des sexuellen Missbrauchs durch den Vater auf.
Leibliche Väter haben derzeit keine Rechte, wenn ein neuer Partner der Mutter die rechtliche Vaterschaft bekommt. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass der Gesetzgeber hier nachbessern muss.09.04.2024 | 1:53 min
Experte: Gutachten substanzlos
Die Staatsanwaltschaft Detmold ermittelt seitdem ergebnislos gegen den Vater. Wichtige Zeugen werden nicht vernommen und eine DNA-Probe wird nicht ausgewertet, sondern vernichtet. Warum es dazu kam, ist unklar. Ein Gutachter behauptet, dass der Verdacht bestehe, dass die Mutter am sogenannten Münchhausen-by-Proxy-Syndrom leide - was bedeute, dass die Mutter den Missbrauch erfinde, um das Kind an sich zu binden.
Professor Leitner von der Internationalen Hochschule des Bundes ist Experte für familienrechtliche Gutachten. Er hält das Gutachten für substanzlos und sieht schwere wissenschaftliche Mängel. Das Verwaltungsgericht Minden bestätigt diese Auffassung und erklärt, dass die Mutter gesund sei. Das Jugendamt hätte mit der Inobhutnahme falsch gehandelt.
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Mutter taucht mit Sohn unter
Doch die Behörde lässt sich vom Richterspruch nicht beeindrucken. Sie will den Jungen nun in ein Heim schicken. Anna Korn sieht keinen Ausweg und taucht mit Anton unter. In dieser belastenden Zeit unterrichtet sie ihren Sohn, organisiert das Leben im Untergrund und versucht vor Gericht eine Klärung der Situation herbeizuführen. Nach zehn Monaten erzielt Anna Korn einen weiteren Erfolg. Das Oberlandesgericht Hamm erlaubt die Rückkehr von Mutter und Sohn. Ein Heimunterbringung droht vorerst nicht. Anton kann wieder in die Schule gehen.
Jetzt beginnt vor dem Landgericht in Detmold die juristische Aufarbeitung des unglaublichen Falls. Marita Korn-Bergmann ist eine Anwältin von Anna Korn. Sie fordert vom Jugendamt über eine halbe Million Euro an Schmerzensgeld und Schadensersatz. Ihr gegenüber sitzen die Vertreter des Jugendamts. Sie streiten alle Vorwürfe ab. Beide Seiten mustern sich. Man kennt sich aus verschiedenen Verfahren dieses komplexen Prozessgebildes.
Prozess gegen Jugendamt: Klägerin (r.) und Anwältin im Landgericht Detmold
Quelle: ZDF
Aussage gegen Aussage
Die Richterin fragt Anna Korn, welche gesundheitlichen und beruflichen Folgen die Inobhutnahme für sie hatte. Die Mutter holt kurz Luft, sucht nach Worten. "Ich habe Konzentrationsschwierigkeiten und musste vorübergehend Beruhigungsmittel nehmen. Ich konnte auch meine Führungsposition in meinem Unternehmen nur noch eingeschränkt wahrnehmen."
Auffällig sind die gegensätzlichen Schilderungen der Inobhutnahme. Anna Korn berichtet, wie geschockt ihr Sohn damals gewesen sei. Bis heute sei er traumatisiert. Die Vertreterin des Jugendamts erklärt in wenigen Sätzen, dass der junge nicht gelitten habe. Er habe sich sehr gefreut, als er später seinen Vater getroffen habe. Hier steht Aussage gegen Aussage. Anton hat bei einer früheren Vernehmung vor dem OLG Hamm erklärt, dass er seinen Vater nie wieder sehen wolle. Wenn er dorthin müsse, würde er sofort wieder abhauen. Wann ein Urteil fällt, ist unklar.