Korruption bei Gutachtenvergabe: Ein systemisches Problem?

    Korruption bei Gutachtenvergabe:Einzelfall oder systemisches Problem?

    von Charlotte Greipl
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    Sachverständigengutachten spielen in der Praxis von Gerichten und Staatsanwaltschaften eine wichtige Rolle. Dass die Vergabe missbrauchsanfällig ist, zeigt ein Fall aus Frankfurt.

    Blick auf das Landgericht Frankfurt/Main. Archivbild
    Ist die Vergabe von Sachverständigengutachten anfällig für Korruption? Ein Fall, der vor dem Landgericht Frankfurt verhandelt wird, wirft Fragen auf.
    Quelle: Fredrik von Erichsen/dpa

    Vor dem Landgericht Frankfurt beginnt heute der Prozess gegen den früheren Oberstaatsanwalt Alexander B., der wegen Bestechlichkeit und Steuerhinterziehung angeklagt wird. Ihm wird vorgeworfen, Gutachten bei einem befreundeten Unternehmer in Auftrag gegeben und daran mitverdient zu haben. Nach den Ermittlungen soll das Unternehmen in den letzten zehn Jahren für Gutachten und weitere Dienstleistungen mehr als 12,5 Millionen Euro erhalten haben.
    Besonders brisant an dem Fall ist, dass Alexander B. als Staatsanwalt in den Bereichen Abrechnungsbetrug und Wirtschaftskriminalität tätig war. Es war also seine Aufgabe, Korruption im Gesundheitssektor aufzudecken.

    Ein Justizskandal

    Der hessische Justizminister Roman Poseck bezeichnet den Fall als eine "Katastrophe für die hessische Justiz". Diese Katastrophe wirft über den Fall hinaus Fragen auf: Wieso konnten Gutachten über Jahre hinweg fast ausschließlich an eine Firma vergeben werden? Warum wurden die völlig überhöhten Summen nicht beanstandet?
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    Ob das Problem systemisch ist, wird das Gerichtsverfahren kaum aufdecken können. Das Thema ist jedenfalls in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Auf Nachfrage des ZDF erklärten die Justizministerien der Länder, sie hielten die Causa Alexander B. für einen Einzelfall. Für das Thema bestünde aber seit Aufkommen der Vorwürfe eine hohe Sensibilität.

    Hohe Bedeutung von Sachverständigengutachten

    Im Alltag von Gerichten und Staatsanwaltschaften spielen sogenannte Sachverständigengutachten eine wichtige Rolle. Wie hat sich ein Verkehrsunfall zugetragen? Das kann in der Regel nur ein Verkehrssachverständigengutachten klären. Litt ein*e vermeintliche*r Täter*in an einer psychischen Störung und war möglicherweise schuldunfähig? Hierzu bedarf es häufig einer psychiatrischen Begutachtung.
    Grundsätzlich wählt das Gericht selbst die bzw. den Sachverständige*n aus. Die Parteien können sie bzw. ihn wegen Befangenheit ablehnen. Eine Kontrolle, etwa durch Organe der Justizverwaltung, findet hingegen nicht statt. Das wäre mit der richterlichen Unabhängigkeit nicht zu vereinbaren. Hier sind Kontrollen also kaum denkbar.
    Anders ist das bei der Staatsanwaltschaft: Diese wählt Sachverständige aus, wenn ein Gutachten schon im Ermittlungsverfahren, also noch vor Anklageerhebung, erforderlich ist. Staatsanwält*innen können sich nicht auf die richterliche Unabhängigkeit berufen, eine Überprüfung der Gutachtenvergabe durch Vorgesetzte wäre also möglich.

    Kaum Kontrolle durch Vorgesetzte

    Doch spezielle Kontrollmechanismen bei der Staatsanwaltschaft gibt es nur in wenigen Bundesländern. Hessen, das Bundesland, in dem der Angeklagte seine ganze Dienstzeit über tätig war, hat als Reaktion auf den Skandal für die Vergabe von Sachverständigengutachten ein Vieraugenprinzip etabliert.
    Einige Länder haben Korruptionsbeauftragte eingerichtet, die stichprobenartig die Vergabe der Gutachten und die Höhe der in Rechnung gestellten Leistungen überprüfen. In Baden-Württemberg erfolgt eine Kontrolle anhand einer Software durch den Behördenleiter sowie im Rahmen der Nachschau durch die Generalstaatsanwaltschaft.

    Mangel an geeigneten Gutachter*innen

    Das Problem liegt eher woanders: Die nach dem Gesetz vorgegebene Sachverständigenvergütung ist für die meisten Berufe eher spärlich bemessen, sodass die Anzahl qualifizierter Gutachter*innen überschaubar ist.
    Das bestätigte auch Kai Wantzen, Gerichtssprecher des Hanseatischen Oberlandesgerichts, gegenüber dem ZDF: "In der Folge konkurrieren daher in den vielen Fällen nicht Gutachter um die Gunst der Richterinnen und Richter, sondern umgekehrt Gerichte um die Kapazitäten der besonders gefragten Fachleute. In solchen Konstellationen ist ein Korruptionsrisiko praktisch kaum vorstellbar."
    Bei dem Frankfurter Staatsanwalt handelt es sich wohl um einen besonders krassen Einzelfall eines Korruptionsbekämpfers, der selbst den Versuchungen eines durchaus missbrauchsanfälligen Systems unterlag. Besonders ärgerlich ist der Fall für die vielen Justizbeschäftigen, auf die dadurch ein schlechtes Licht geworfen wird.
    Charlotte Greipl ist Rechtsreferendarin in der Redaktion Recht und Justiz.