Seltene Erkrankungen: Hoffnung dank RNA-Therapie

    Seltene Erkrankungen:Maßgeschneiderte RNA-Therapie weckt Hoffnung

    von Petra Otto
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    Für seltene Erkrankungen gibt es kaum Behandlungen. In Tübingen wird eine genbasierte Therapie eingesetzt, die allein auf einen einzigen Patienten zugeschnitten ist.

    Symbolbild: Sequenzierung in einem Labor
    Bei der RNA-Therapie kreieren die Forscher im Reagenzglas ein sogenanntes Antisense-Oligonukleotid, das sich dann exakt über die mutierte Stelle im Erbgut des Patienten legt.
    Quelle: dpa

    Poyraz ist immer in Bewegung. Er kann nicht stillstehen, schlecht das Gleichgewicht halten. Seine Sprache ist undeutlich. Dass etwas nicht stimmt, bemerken seine Eltern, als er gut eineinhalb Jahre alt ist. Statt aufwärts geht es bergab.
    Es beginnt eine Ärzteodyssee, schließlich die Diagnose: Ataxia teleangiectasia. Eine schwere Erbkrankheit, die zum Verlust der Gehfähigkeit führt und zur Anfälligkeit für schwere Bronchitis und Leukämie. Kinder wie Poyraz werden in der Regel nicht alt.

    Wir waren schockiert von der Nachricht und sehr traurig. Die Ärzte sagten uns, dafür gäbe es keine Behandlung im Moment.

    Baris Kurt, Vater von Poyraz

    MRT vom Kopf
    Ein Forschungsteam hat einen kurzen RNA-Schnipsel, ein sogenanntes Antisense Oligonukleotid (ASO), entwickelt, das passgenau auf die Genmutation von Poyraz zugeschnitten ist.28.02.2023 | 5:26 min

    Nur eine Handvoll Kinder hat genau diesen Gendefekt

    Poyraz' Krankheit beruht auf einem sehr seltenen Gendefekt. Beide Elternteile sind Träger der Mutation, aber gesund. Die Genveränderung führt dazu, dass in den Zellen ein bestimmtes Gen nicht richtig abgelesen werden kann. Dadurch wiederum wird ein notwendiges Eiweiß nicht gebildet. Das führt zum Tod von Zellen in seinem Kleinhirn und damit zu fortschreitenden Symptomen.
    Üblicherweise dauert es 10 bis 15 Jahre, bis ein Medikament auf den Markt kommt. Poyraz kann so lange nicht warten. Und kaum ein Unternehmen steckt Forschungsgelder in Therapien, die nur wenigen Menschen helfen. Studien mit Tausenden Betroffenen, wie soll es die geben bei einer so seltenen Krankheit?

    Die individualisierte Entwicklung eines Medikaments und die Anwendung über den Weg eines individuellen Heilversuchs bleibt hier der einzige Ausweg.

    Matthis Synofzik, Hertie-Institut für klinische Hirnforschung, Tübingen

    Forschungsnetzwerk für maßgeschneiderte Therapien

    "1 Mutation - 1 Medicine", so heißt ein europäisches Forschungsnetzwerk, das maßgeschneiderte Therapien entwickeln will für Patienten mit einer bestimmten Genmutation. Die Wissenschaftler*innen arbeiten eng mit einem transatlantischen Netzwerk zusammen. Poyraz wurde zunächst in Boston behandelt.
    Junge Frau mit sichtbarer Hauterkrankung
    Claras Haut ist so empfindlich wie die Flügel eines Schmetterlings.21.02.2023 | 5:07 min
    Auch die Schmetterlingskrankheit gehört zu den seltenen Erkrankungen:

    RNA-Schnipsel aus dem Labor soll Gendefekt ausbremsen

    Die Forschenden kreieren im Reagenzglas ein sogenanntes Antisense-Oligonukleotid, kurz ASO. Es legt sich dann exakt über die mutierte Stelle im Erbgut des Patienten, wie ein passender Schlüssel fürs Schlüsselloch. Dadurch kann das Gen wieder korrekt abgelesen und das fehlende Eiweiß erneut gebildet werden.
    Poyraz reagiert ohne Nebenwirkungen auf die Therapie, die ihm alle drei Monate ins Nervenwasser injiziert wird. Ob das seine Krankheit aufhält, lässt sich aber noch nicht sicher sagen. Seine Eltern stellen in den letzten Monaten jedenfalls keine Verschlechterung fest.



    Baris Kurt glaubt an die Wissenschaft. Wenn etwas helfe, dann nur das, erläutert der Vater von Poyraz.

    Wir erklären ihm, dass er eine ganz besondere Medizin bekommt.

    Aylin Uyar Kurt, Mutter von Poyraz

    Neuer Weg in der Medikamentenentwicklung

    Die Forschenden sehen in der Idee, Menschen mit seltenen Erbkrankheiten mit RNA-Therapien zu behandeln, eine große Zukunft. Sie wollen künftig weitere ASOs, kurze RNA-Schnipsel, im Labor entwickeln. Stets individuell angepasst für die jeweilige Mutation.

    Die Grundbausteine der jeweils für die einzelne Patientin oder den einzelnen Patienten zugeschnittenen ASO-Therapien sind stets ähnlich. Das bedeutet: Die Therapien sind einerseits hoch individuell - und doch zugleich generalisierbar.

    Prof. Dr. Matthis Synofzik, Neurologe, Universitätsklinikum Tübingen

    Baukasten für RNA-Therapien steht

    Der Baukasten steht also fest, nur ein kleines Steinchen muss ausgetauscht werden. Wenn das Prinzip funktioniert, könnten künftig in kurzer Zeit neue individuelle Wirkstoffe hergestellt werden.
    Poyraz fährt bald wieder mit seinen Eltern ins Zentrum für Seltene Erkrankungen nach Tübingen. Dort bekommt er seine nächste Spritze und wird wieder gründlich untersucht. Wenn die RNA-Behandlung anschlägt, wäre das ein Riesenschritt in der Behandlung seltener Krankheiten. Nicht nur für ihn.



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