Sprachkritiker-Jury in Marburg:"Remigration" ist Unwort des Jahres 2023
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"Remigration" ist zum Unwort des Jahres 2023 gewählt worden. Der Begriff werde als "beschönigende Tarnvokabel" von Rechten missbraucht, sagte die Jury in Marburg zur Begründung.
Das Unwort des Jahres wird seit 1991 gekürt.
Quelle: dpa
Rechte Parteien und Rechtsextreme würden den Begriff "Remigration" beschönigend für ihre Forderung nach Zwangsausweisungen und Deportationen missbrauchen, erläuterte die Jury der sprachkritischen Aktion in Marburg. Remigration sei ein "rechter Kampfbegriff" und eine "beschönigende Tarnvokabel".
Jury: Rechte wollen Fachbegriff vereinnahmen
Ziel der rechten und rechtsextremen Gruppen sei es, den aus der Sozialwissenschaft stammenden, ursprünglich wertneutralen Fachbegriff ideologisch zu vereinnahmen und umzudeuten.
"Die Neue Rechte zielt mit dem Wortgebrauch darauf ab, kulturelle Hegemonie und ethnische Homogenität zu erlangen", sagte Jury-Sprecherin Constanze Spieß.
Zuletzt war der Begriff in der politischen Debatte allgegenwärtig. Denn es war bekannt geworden, dass bei einem AfD-Treffen mit Rechtsextremen über Ideen und Forderungen der Remigration gesprochen wurde.
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Laut Spieß wurde Remigration für die Unwort-Wahl von Bürgern insgesamt 27 Mal vorgeschlagen. "Dass nach den jüngsten "Correctiv"-Enthüllungen über das Potsdamer AfD-Treffen zu Remigrationsplänen zuletzt sehr breit über den Begriff gesprochen wurde, ist letztlich ein Zufall. Es bestätigt uns aber auch in unserer Unwort-Entscheidung."
Unwort des Jahres seit 1991
Bei der bundesweit viel beachteten Aktion werden seit 1991 nach Auffassung der Fachleute unmenschliche oder unangemessene Begriffe ausgewählt, die gegen das Prinzip der Menschenwürde verstoßen, in irreführender Weise etwas Negatives beschönigen oder diskriminieren.
Die Jury will damit insgesamt auf "undifferenzierten, verschleiernden oder diffamierenden öffentlichen Sprachgebrauch" aufmerksam machen und Menschen für das Thema sensibilisieren.
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Mehr als 2.000 Vorschläge
Mehr als 2.000 Vorschläge waren den Angaben zufolge im vergangenen Jahr eingegangen, neben "Remigration" gehörten dazu etwa "Abnutzungskrieg" für erbitterte Kampfhandlungen, "soziale Hängematte" für Bürgergeld oder "Sozialklimbim" für soziale Leistungen.
Das Wort folgt auf den Begriff "Klimaterroristen" - das "Unwort des Jahres" 2022. Mit dem Begriff würden pauschal Menschen diskreditiert, die sich für Maßnahmen gegen den Klimawandel und die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens einsetzten, hieß es damals zur Begründung.
Die Verwendung des Begriffs kritisiert die Jury, weil Aktivistinnen und Aktivisten mit Terroristen "gleichgesetzt und dadurch kriminalisiert und diffamiert werden". Gewaltlose Protestformen zivilen Ungehorsams und demokratischen Widerstands würden so in den Kontext von Gewalt und Staatsfeindlichkeit gestellt.
Der aus dem Englischen stammende Begriff bedeutet zurückdrängen oder zurückschieben und wird im Zusammenhang mit möglichen illegalen Zurückweisungen von Migranten an der EU-Außengrenzen verwendet. Die Jury kritisiert die Nutzung des Ausdrucks, "weil mit ihm ein menschenfeindlicher Prozess" beschönigt werde.
Erstmals gibt es ein "Unwort"-Paar: "Corona-Diktatur" sei ein Begriff von sogenannten Querdenkern und rechten Propagandisten, um die Politik zur Eindämmung der Pandemie zu diskreditieren.
"Rückführungspatenschaften" sei zynisch und beschönigend. Mit Rückführung sei nichts anderes gemeint als Abschiebung und die Patenschaft sei ein eigentlich positiv besetzter Begriff.
Mit dem Wort werden nach Auffassung der Jury Klimaschutzbemühungen und die Klimaschutzbewegung diffamiert und wichtige Debatten zum Klimaschutz diskreditiert.
Der Ausdruck "Anti-Abschiebe-Industrie" wurde 2018 durch den Vorsitzenden der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag eingeführt. Laut Jurymitglied Janich zeigt sich dadurch "wie sich der politische Diskurs sprachlich und in der Sache nach rechts verschoben hat und sich damit auch die Sagbarkeitsregeln in unserer Demokratie auf bedenkliche Weise verändern."
Die Bezeichnung "alternative Fakten" ist der verschleiernde und irreführende Ausdruck für den Versuch, Falschbehauptungen als legitimes Mittel der öffentlichen Auseinandersetzung salonfähig zu machen, so die Jury.
Das Schlagwort werde "antidemokratisch und diffamierend verwendet", begründete eine Sprecherin der "Unwort"-Jury, die Sprachwissenschaftlerin Nina Janich, die Entscheidung.
Der Vorwurf diffamiere Hilfsbereitschaft und Toleranz pauschal als naiv und dumm, begründet die "Unwort"-Jury ihre Wahl.
Diese pauschale Verurteilung "verhindert fundierte Medienkritik und leistet somit einen Beitrag zur Gefährdung der für die Demokratie so wichtigen Pressefreiheit", so die Jury.
Der Ausdruck diskriminiert laut Jury Menschen, "die aus purer Not in Deutschland eine bessere Zukunft suchen, und verschleiert ihr prinzipielles Recht hierzu".
Die "Unwort"-Jury kritisiert, der Begriff stelle Frauen pauschal unter den Verdacht, sexuelle Gewalt zu erfinden und damit selbst Täterin zu sein. Wetter-Unternehmer Jörg Kachelmann hatte die Wortschöpfung, die seine Frau Miriam erfunden habe, unter anderem in einem "Spiegel"-Interview verwendet. Darin ergänzte er: "Frauen sind immer Opfer, selbst wenn sie Täterinnen wurden."
Dieser Begriff ist für die Mordserie der rechtsextremistischen NSU-Terroristen verwendet worden. Mit der "sachlich unangemessenen, folkloristisch-stereotypen Etikettierung" würden ganze Bevölkerungsgruppen ausgegrenzt, erklärt die Jury.
Das Wort suggeriere zu Unrecht, dass keine Diskussion mehr notwendig sei.
Damit würden Arbeitnehmer-Interessen in völlig unangemessener Weise als Seuche dargestellt.
Der Begriff stelle das Verhältnis von Ursachen und Folgen der Weltwirtschaftskrise auf den Kopf. (Quelle: dpa)