Wege aus der Pflegekrise:Was wir von den Finnen lernen können
von Katrin Kleemann und Luca Vogel
|
Das finnische Gesundheitssystem gehört weltweit zu den besten. Mehr Kompetenzen für Pflegekräfte sorgen für eine effiziente Versorgung und hohe Zufriedenheit bei allen Beteiligten.
Kein Job treibt so viele in den Burn-out wie die Krankenpflege. "plan b" zeigt, an welchen Stellschrauben gedreht werden muss für eine Trendwende in der Pflege.15.06.2023 | 29:45 min
Kristian Enberg tastet vorsichtig die Augenlider seiner Patientin ab und leuchtet ihr ins Auge. "Tut das Licht im Auge weh?", fragt der 46-Jährige während seiner Untersuchung. Auch wenn es aussieht, als sei er Arzt: Kristian Enberg ist Krankenpfleger.
In Finnland ist das Alltag. Hier haben Pflegekräfte wesentlich mehr Kompetenzen als in Deutschland. In sogenannten Gesundheitszentren führen sie die Erstuntersuchungen durch.
Quelle: ZDF
... sind in Finnland die erste Anlaufstelle bei medizinischen Problemen aller Art. Bei Bedarf kontaktieren Patientinnen und Patienten zunächst ihr zuständiges Gesundheitszentrum per Telefon. Eine medizinische Fachkraft gibt Hinweise für die Erstbehandlung zu Hause und gegebenenfalls einen Termin im Zentrum. In Notfällen kommt ein Krankenwagen. Ansonsten werden Patienten, die spezielle Behandlungen benötigen, durch die Gesundheitszentren an Kliniken überwiesen.
Quelle: Kassenärztliche Bundesvereinigung
Quelle: Kassenärztliche Bundesvereinigung
Studierte Pflegekräfte übernehmen Ärzteaufgaben
Kristian Enbergs heutige Patientin hat eine Bindehautentzündung und der Pfleger versorgt sie mit einem Rezept - ganz ohne ärztliche Anweisung. Etwa die Hälfte aller Fälle können so von Pflegekräften behandelt werden.
Anders als in Deutschland studieren hier alle Pflegekräfte. Kristian Enberg konnte nach dem Grundstudium zwischen unterschiedlichen Schwerpunkten wählen. Er spezialisierte sich auf Pharmakologie und besuchte die Seminare gemeinsam mit zukünftigen Ärztinnen und Ärzten.
Mit seiner Qualifikation als sogenannte "prescribing nurse" darf er impfen, Krankschreibungen ausstellen oder auch Antibiotika verschreiben - und hat dabei für jeden Patienten 30 Minuten Zeit. In Deutschland haben Ärztinnen und Ärzte nur knapp acht Minuten Zeit.
Mehr Zeit für Patienten bei geringeren Kosten für Gesundheit
Seine nächste Patientin hat seit mehreren Monaten Husten. Kristian misst den Blutdruck und hört sie mit dem Stethoskop ab. Doch diese Diagnose übersteigt seine Kompetenzen und der Pfleger entscheidet sich, einen Arzt dazu zu holen. "Das gibt allen die Möglichkeit, das zu tun, was sie am besten können", so Enberg.
Das finnische Gesundheitssystem gehört zu den kostengünstigsten weltweit. 9,2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) fließen in die Gesundheitsversorgung. Trotzdem erzielen die Finnen überdurchschnittlich gute Ergebnisse. Deutschland gibt knapp 13 Prozent des BIP aus.
Finnland als Vorbild für Gesundheitsreform in Deutschland
Die finnischen Pflegekräfte-geführten (engl. nurse-led) Gesundheitszentren spielen dafür eine Schlüsselrolle. Diese Zentren sind Vorbild für eine in Deutschland vorgeschlagene Gesundheitsreform.
Auch der Anteil an akademisch qualifizierten Pflegekräften soll hierzulande erhöht werden, denn bisher haben nur knapp zwei Prozent studiert.
Mit dem Studium "Pflegewissenschaft" können sich Pflegekräfte schon heute zur "Advanced Practive Nurse", kurz APN, qualifizieren und so die Qualität der Pflege erhöhen - für Patienten und Pflegekräfte.
Pflegekräfte in Finnland entscheiden auch über Ressourcen
In Finnland beginnt die effiziente Ressourcenverteilung aber bereits vor den Untersuchungen. Mit einem Headset auf dem Kopf sitzt Kristian Enberg in seinem Büro am Computer und nimmt Anrufe von Patientinnen entgegen.
Mal füllt er eine Krankschreibung aus, mal stellt er ein digitales Rezept für eine Blasenentzündung aus - für vieles ist eine physische Untersuchung gar nicht nötig. Kristian ist von diesem System überzeugt:
Quelle: ZDF
Mehr Dokumentationen von plan b und Hintergründe dazu finden Sie jederzeit in der ZDF-Mediathek oder samstags um 17:35 Uhr im TV.
Höhere Berufszufriedenheit bei finnischen Pflegekräften
Der nurse-led Ansatz und die erweiterten Kompetenzen der Pflegekräfte haben für Kristian Enberg einen weiteren Vorteil:
Der enge Austausch sorgt für flache Hierarchien und mehr Zufriedenheit auf beiden Seiten. Das gilt auch für Kristian Enberg: "Ich bin seit 23 Jahren Pfleger und habe diese Entscheidung nie bereut. Es ist eine extrem bereichernde Arbeit und ich würde nie etwas anderes machen wollen."
Thema
Mehr über die Pflegekrise
Bundestag:Pflegereform beschlossen: Darum geht es
1:43 min
Nachrichten | heute - in Deutschland:Pflegekräfte lernen Bayrisch
von Peter Aumeier