Insolvenzwelle: Wenn das Pflegeheim schließt

    Krise und Lösungskonzepte:Insolvenzwelle: Wenn das Pflegeheim schließt

    von Susana Santina
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    Der Pflegemarkt in Deutschland wird von einer Pleitewelle überrollt, Experten sind fassungslos. Aber es gibt auch Positiv-Beispiele.

    Was passieren kann, wenn heutige und vergangene Krisen auf das deutsche Pflegesystem treffen, zeigt sich aktuell im hessischen Bad Nauheim. Dort kündigt der private Betreiber von vier Häusern Schließungen an - und setzt Bewohner und Personal vor dir Tür.
    Die Bewohner der betroffenen Pflegeheime stünden verständlicherweise unter Schock, teilt der Betreiber Dorea dem ZDF schriftlich mit. Von den Schließungen betroffen sind auch 75 Mitarbeiter. Dorea verweist darauf, dass bei dem Pflegeanbieter, wie bei den meisten anderen in Deutschland, die Krise mit der Corona-Pandemie begann.

    Corona, Ukraine-Krieg, Pflegemangel

    Durch die ausgelöste Unterbelegung seien Verluste entstanden, die nun durch "inflationäre Tendenzen infolge des Ukraine-Kriegs verstärkt" wurden.
    Doch auch der Fachkräftemangel spiele eine große Rolle. Weil oft nicht genug Pflegekräfte gefunden worden seien, hätte man Personal von Zeitarbeitsfirmen rekrutieren müssen, die oft doppelt so teuer seien.
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    Pflege leidet unter Fachkräftemangel

    Tatsächlich schlägt der Fachkräftemangel mit voller Wucht auch in der Pflege zu. Und wenn man auf einheimischen Nachwuchs setzt, sieht es ebenfalls düster aus. Nach aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes haben im Jahr 2022 52.100 Menschen in Deutschland eine Ausbildung zur Pflegefachfrau oder zum Pflegefachmann begonnen, und damit sieben Prozent weniger im Vergleich zum Vorjahr.
    Für Bernd Meurer, Präsident des Bundesverbands privater Anbieter sozialer Dienste, ist der Rückgang vor allem von der Politik zu verantworten. Weil man zum Beispiel die dreijährige Altenpflegeausbildung, die für viele Menschen interessant gewesen sei, abgeschafft habe.
    Die Zusammenlegung der Ausbildung mit der Krankenpflege sieht auch Barbara Susec von der Gewerkschaft Verdi kritisch. Vor allem deshalb, weil sich die meisten danach für die Krankenpflege entscheiden würden. Die Arbeitsbedingungen und Bezahlung in der Altenpflege seien meistens schlechter. Das müsse sich endlich ändern, damit diese wichtige Arbeit attraktiver wird. Dann könne man auch die Heime wieder voll auslasten.
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    Welle von Insolvenzen bei Pflegeheimen

    In Deutschland gibt es rund 11.700 Pflegeheime. Durch die Branche rollt eine nie da gewesene Insolvenzwelle, hunderte Altenheime stehen vor der Pleite. Es geht nicht mehr nur darum, sich mit staatlichen Hilfen zu sanieren. Viele Altenheime verschwinden seit einigen Monaten vom Markt. Allein im vergangenen Jahr waren es nach Zahlen des Branchendienstes Pflegemarkt 142 Heime und 431 Pflegedienststandorte. In den ersten drei Monaten dieses Jahres gab es rund 200 Insolvenzen.
    Ricardo Lange aus Berlin hat sich als Pfleger einen Namen gemacht, weil er seit Jahren in der Öffentlichkeit auf verheerende Zustände bei der Arbeit im Gesundheitswesen aufmerksam macht. Dem damaligen Kanzlerkandidaten Olaf Scholz (SPD) nahm er vor zwei Jahren vor laufender Kamera ein Versprechen ab: Scholz werde sich, wenn er gewählt wird, für eine bessere Bezahlung und mehr Entlastung der Pflegekräfte einsetzen.
    "Danke für nichts", sagt Ricardo Lange nun. Es habe sich nichts geändert. Die gestiegenen Energiepreise und Personalkosten seien natürlich ein Problem, so Lange im ZDF-Interview, aber das Hauptproblem sei, "dass man jahrelang die Pflegekräfte schlecht behandelt hat".

    Man hat sie schlecht bezahlt, man hat sie veräppelt, leere Versprechungen gemacht, und irgendwann haben diese Pflegekräfte eben gesagt, dann pflegt euch doch selbst.

    Ricardo Lange

    Pflegekräfte wechseln die Branche

    In der Pandemie haben viele Pflegekräfte ihrem Job den Rücken gekehrt und sind in andere Branchen gewechselt. Familienfreundlicher, ohne permanenten Schichtdienst, mit besserer Bezahlung. Bernd Meurer, der Präsident des Bundesverbands privater Anbieter sozialer Dienste, betreibt selbst drei Altenpflegeheime. Alle drei liefen mit Gewinn, sagt er, weil er rechtzeitig auf Fachkräfte aus dem Nicht-EU-Ausland gesetzt habe.
    "Wir haben um diese Menschen aus Bosnien, Albanien, Thailand oder den Philippinen geworben, und sie dann hier integriert, Wohnraum geschaffen, Sprachkurse vermittelt", sagt Meurer. Alle drei seiner Pflegeheime kann er voll auslasten, weil er ausreichend Personal hat.
    Deswegen sei auch ein Gewinn möglich. Die Bundesregierung müsse die Zuwanderung von Fachpersonal vereinfachen, damit die Einrichtungen erst mal durchatmen könnten, so Meurer. Natürlich müsse man sich dann auch in Ruhe andere grundlegende Änderungen überlegen.

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