Nach Erdbeben in Japan: Warum Hilfe so schleppend vorankommt

    Nach Erdbeben und Tsunami:Japan: Warum Hilfe so schleppend vorankommt

    Elisabeth Schmidt, Korrespondentin ZDF-Studio Peking
    von Elisabeth Schmidt
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    Vier Tage nach dem Erdbeben in Japan gibt es noch immer Verschüttete und teils viel zu wenig Trinkwasser. Wie kann das einem erdbebenerprobten Land passieren?

    Rettungskräfte arbeiten nach einem starken Erbeben an einem eingestürzten Gebäude.
    In Wajima sind die Bewohner angesichts der Erdbebenschäden verzweifelt - Rettungskräfte suchen in Tümmern nach Verschütteten.
    Quelle: dpa

    Der Bürgermeister von Wajima ist verzweifelt: "Die 3.000 Mahlzeiten und die 5.000 Flaschen Wasser, die bis Mittwoch geliefert wurden, sind nicht annähernd genug für die 11.000 Menschen, die hier obdachlos geworden sind", sagt Shigeru Sakaguchi in einem Krisenmeeting der lokalen Behörden.
    Wajima befindet sich auf der vom Erdbeben besonders stark getroffenen Halbinsel Noto. Noch immer sind mindestens 830 Menschen von der Außenwelt abgeschnitten, meldet der japanische Nachrichtensender NHK am Freitag. 68.000 Haushalte haben kein fließendes Wasser.
    Die Bergungsarbeiten nach den Erdbeben in Japan stellen sich als schwierig heraus.
    Trümmer und Regen erschweren die Bergungsarbeiten in Japan. Die Suche nach Überlebenden kommt auch zwei Tage nach dem Erdbeben nicht wie gewünscht voran.03.01.2024 | 1:41 min

    Japans Premier Kishida will beschwichtigen

    Die Zahl der Toten ist inzwischen auf 94 Menschen gestiegen, 242 Personen gelten noch als vermisst. Das kritische 72-Stunden-Fenster, nach dem laut Experten die Chance immer weiter schwindet, Überlebende zu finden, ist bereits überschritten.
    Während Premier Kishida in Tokio in einer Pressekonferenz nach der anderen beschwichtigt, Hilfe sei auf dem Weg und die Vermisstenmeldungen würden nun nach und nach abgearbeitet, macht sich in den sozialen Medien Frust breit. Kritik am Krisenmanagement der Regierung wird lauter. "Bis gestern Abend wurden zehn Decken und vier Tassen Nudeln nach Iwakuma, Anamizu, geliefert. Eine Stadt mit etwa 140 Einwohnern und 70 Haushalten", klagt Gohyakuro Yukio auf X (vormals Twitter).

    Japans Regierung kündigte an, 4,74 Milliarden Yen (29,9 Millionen Euro) aus der vorgesehenen Budgetreserve locker zu machen für den Wiederaufbau der Noto-Halbinsel. Das gab Finanzminister Shunichi Suzuki bekannt. Premierminister Kishida erklärte, sein Kabinett werde die Notfallhilfe kommende Woche formell beschließen.

    Außerdem werde Japan von den USA als bislang einzigem Land Unterstützung annehmen. Die US-Botschaft in Tokio teilte mit, es würden unverzüglich Hilfsgüter im Wert von 100.000 US-Dollar in die betroffenen Gebiete geschickt, darunter Decken, Trinkwasser und Medikamente. Zahlreiche Regierungen, etwa in China und Taiwan, hatten ebenfalls Unterstützung angeboten. Bislang hat Tokio diese aber nicht angenommen.

    Der User "msmSaito" kritisiert Premierminister Kishida: "Er trifft immer schnelle Kabinettsentscheidungen über Dinge, um die wir ihn nicht gebeten haben. Aber dann ist er so langsam, wenn es um zeitnahe Unterstützung geht, und sagt, die Hilfen würden ab nächster Woche beginnen. Das ist einfach zu viel!"

    Katastrophen-Experte: Wucht des Erdbebens verhindert bessere Trinkwasser-Hilfe

    "Japan hat viele Erdbeben erlebt, aber daran gewöhnt haben sich die Japaner nicht", Prof. Naoya Sekiya. Er forscht an der Universität Tokio zu Katastrophenmanagement und Sozialpsychologie.

    Viele Menschen in Japan empfinden im Moment großen Schmerz, sie befinden sich im Schock.

    Naoya Sekiya, Universität Tokio

    Dass das Trinkwasser im Krisengebiet knapp sei, liege an der Wucht des Erdbebens diesmal. "In Japan ist jeder Haushalt angewiesen, Essen und Wasser für eine Dauer von drei bis sieben Tagen vorrätig zu halten", erklärt Sekiya. Auch die Lokal- und Kommunalregierung legen Vorräte für die Bevölkerung an. "Weil das Erdbeben die Häuser allerdings zerstört hat, kommt zurzeit keiner an die Vorräte ran." Das vom Erdbeben getroffene Gebiet sei besonders schwer zugänglich.
    Erschwerte Bergungsarbeiten nach Erdbeben in Japan.
    Nach dem schweren Erdbeben in Japan werden die Rettungsarbeiten immer wieder von Regen und weitere Erdstößen behindert. 73 Tote wurden bereits geborgen.03.01.2024 | 1:41 min

    "Bürokratie as usual" trotz Ausnahmesituation

    Die Halbinsel Noto könne von Landseite nur über ein bergiges Gebiet erreicht werden. "Die Straßen dorthin sind zerstört oder blockiert. Große Lkw mit schwerem Gerät können zurzeit nicht dorthin gelangen."
    Karte: Epizentrum Erdbeben Japan
    Das Epizentrum des Erdbebens in Japan befand sich auf der Halbinsel Noto.
    Quelle: ZDF

    Die Entsendung der Truppen liege in Japan nicht in der Hand des Premiers, sondern des Verteidigungsministeriums. Die betroffenen Präfekturen mussten am Montag erst einen Antrag stellen, bis ihnen Hilfe durch die Soldaten gewährt wurde. "Bürokratie as usual" in einer Ausnahmesituation.
    Die Streitkräfte begannen ihre Arbeit dann auch erst einen Tag nach dem Beben.1.000 Soldaten waren zunächst im Einsatz, erst am Donnerstag wurden sie auf 4.600 aufgestockt.
    Flugzeugbrand auf Tokioter Flughafen
    Nach den schweren Erdbeben an Neujahr nun der nächste Schreck für Japan: Auf dem Flughafen Tokio-Haneda kollidiert ein Hilfsflugzeug mit einer Passagiermaschine.02.01.2024 | 2:50 min

    Aufatmen bei AKW-Sicherheit am Japanischen Meer

    Dass die Zahl der Toten in Japan, etwa im Vergleich zum schweren Beben in der Türkei (mehr als 50.000 Tote), deutlich geringer ist, liege einmal daran, dass Noto relativ dünn besiedelt ist, erklärt. Prof. Sekiya. Abgesehen von den zerstörten, ausgebrannten Holzhäusern, etwa in Wajima, seien die meisten Gebäude mit hohen Standards gebaut worden.
    Japan habe nicht zuletzt aus der Jahrhundertkatastrophe in Fukushima 2011 gelernt. Aufatmen deshalb auch beim Thema Reaktorsicherheit. Denn der diesmal von Erdbeben und Tsunami getroffene Küstenstreifen am Japanischen Meer zählt immerhin zu Japans "AKW-Autobahn": Die Dichte der Atommeiler ist hier besonders hoch. Bislang sind aber keine Irregularitäten gemeldet worden.
    Elisabeth Schmidt ist ZDF-Ostasien-Korrespondentin.
    Quelle: Mit Material von Reuters

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