Mini-Löhne für Häftlinge verfassungswidrig

    Bundesverfassungsgericht:Mini-Löhne für Häftlinge verfassungswidrig

    von Laura Kress
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    In Deutschland gilt der Mindestlohn von 12 Euro - außer für Gefangene. Sie erhalten maximal 2,30 Euro pro Stunde. Das ist zu wenig, entschied jetzt das Bundesverfassungsgericht.

    Vor mehr als 20 Jahren wurde der Lohn von Gefangenen das letzte Mal erhöht. Genauer gesagt auf neun Prozent des Durchschnittsverdienstes eines normalen Beschäftigten. Das Bundesverfassungsgericht entschied heute, dass Nordrhein-Westfalen und Bayern ihre Vergütungskonzepte ändern müssen.

    Verstoß gegen das Resozialisierungsgebot

    Mit dieser Entscheidung gaben die Richter der Verfassungsbeschwerde von zwei Strafgefangenen aus Bayern und Nordrhein-Westfalen Recht. Die Begründung: Der geringe Lohn verstoße gegen das Resozialisierungsgebot. Der Gesetzgeber müsse bei der Höhe der Vergütung alle Seiten berücksichtigen. Dabei seien die Gefangenen bisher zu kurz gekommen. Sie hätten nicht die angemessene Anerkennung für ihre Arbeit bekommen. Doris König, Vorsitzende des Zweiten Senats am Bundesverfassungsgericht, erklärte das Urteil wie folgt:

    Die Wahrnehmung der Vergütung durch die Gefangenen selbst darf nicht unberücksichtigt bleiben, weil sich das Empfinden, in ihrer Tätigkeit nicht genügend wertgeschätzt zu werden, auf deren Resozialisierung kontraproduktiv auswirken kann.

    Doris König, Richterin am Bundesverfassungsgericht

    Gefangene bekommen zusätzliche Freistellungstage

    Außerdem haben die Gefangenen viele Zahlungsverpflichtungen, wie den Unterhalt der Familie, Schmerzensgeld oder die Tilgung von Schulden. Einen Teil des Lohns behalten die meisten Justizvollzugsanstalten außerdem ein, um "Überbrückungsgeld" anzusparen, das sie den Gefangenen dann bei ihrer Haftentlassung auszahlen. Für all das reiche das aktuelle Gehalt nicht aus.
    Für den regulären Arbeitsmarkt wurde der Mindestlohn auf zwölf Euro angehoben:
    Neben Geld und regulären Urlaubstagen bekommen Gefangene in vielen Bundesländern auch zusätzliche Freistellungstage. In Nordrhein-Westfalen sind das zum Beispiel zwei freie Tage für drei Monate Arbeit. Der Gefangene kann sich dann entweder während seiner Haft freinehmen oder seinen Entlassungszeitpunkt vorverlegen. Diese Freistellungstage kann es weiterhin geben, entschied das Gericht. Allerdings nur in Kombination mit einer ausreichenden Vergütung.

    Wie hoch wird der Lohn der Gefangenen?

    Wer nun aber auf genaue Zahlen gehofft hat, wurde enttäuscht. Denn wie hoch genau das Gehalt der Gefangenen sein soll, entscheiden nicht die Richter, sondern die Gesetzgeber der Länder. Dabei müssen sie sich an gewisse Vorgaben halten.

    Der Gesetzgeber ist nach dem Resozialisierungsgebot verpflichtet, sich aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse zu verschaffen und sein Konzept gegebenenfalls nachzubessern.

    Doris König, Richterin am Bundesverfassungsgericht

    Außerdem müssen die Gesetzgeber fortwährend prüfen, ob die Höhe der Vergütung noch angemessen ist oder ob sie an veränderte Lebensverhältnisse angepasst werden muss. Das sei in der Vergangenheit zu wenig passiert.

    Länder müssen bis 2025 nachbessern

    Den von den Beschwerdeführern geforderten Mindestlohn dürfte es aber nicht geben. Schließlich müssen bei der Festlegung der Vergütung auch die Ausgaben berücksichtigt werden, die den Ländern durch die Inhaftierten entstehen. Verpflegung, Kleidung und Unterbringung eines Häftlings kosten das Land Nordrhein-Westfalen beispielsweise 191,21 Euro pro Tag. Im Jahr 2022 lagen die Kosten bei mehr als einer Milliarde Euro. Die Einnahmen durch die Gefangenenarbeit liegen lediglich bei 34,4 Millionen Euro.
    Die Geschichte eines Vaters im Gefängnis, der seine Tochter vermisst:
    Bis zum 30. Juni 2025 haben die Länder Nordrhein-Westfalen und Bayern nun Zeit, nachzubessern. Auch für die anderen Länder ist dieses Urteil ein Appell, ihre Vergütungskonzepte zu überprüfen.
    Das Verfassungsgericht habe das Gebot der Resozialisierung unter Rückgriff auf die Menschenwürde und das Sozialstaatsprinzip entwickelt, sagte König, die auch Vizepräsidentin des höchsten deutschen Gerichts ist. Die Gesetzgeber müssten dafür ein schlüssiges und widerspruchsfreies Konzept entwickeln.
    Laura Kress ist Mitarbeiterin der ZDF-Redaktion Recht und Justiz.

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