Doku "Frauen, Fußball, Freiheit":Kicken im Krieg in der Ukraine
von Alexander Glodzinski
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Für die ukrainischen Fußballerinnen geht es nicht nur um Tore. Es geht ums Gewinnen, sich nicht besiegen zu lassen. Jedes Spiel ist jetzt ein Länderspiel.
Die Spielerinnen der ukrainischen Nationalmannschaft widmen jedes Spiel auch den Soldaten im Krieg, die die Ukraine gegen Russland verteidigen.11.07.2023 | 14:50 min
"Jeder Sieg ist jetzt für die Ukraine wichtig", sagt Yana Kalinina, die Spielführerin von Worskla Poltawa, der erfolgreichsten Frauenmannschaft der Ukraine.
Fußball, das war für die Spielerinnen immer das Wichtigste. Jetzt ist anders geworden. Bei jedem Spiel hüllen sie sich in ukrainische Flaggen und singen die Nationalhymne. Sie spielen für ihre Heimat, für die Soldaten, die unter Einsatz ihres Lebens das Land verteidigen. Auch für sie wollen sie gewinnen.
"Niemand hat uns auf so etwas vorbereitet"
Von Poltawa sind es knapp 300 Kilometer bis ins erbittert umkämpfte Bachmut. Die Nachrichtenseiten und der Frontverlauf sind für die Spielerinnen heute genauso wichtig wie die Sportseiten und Tabellenstände.
Allein acht Fußballerinnen von Worskla Poltawa spielen in der Nationalmannschaft. Eine von ihnen ist Katerina Korsun. Sie könnte auch im Ausland spielen, hat sich aber bewusst für den Kriegsalltag entschieden. "Am Anfang haben wir gedacht, das ist unmöglich, das ist nicht real", sagt sie. "Niemand hat uns auf so etwas vorbereitet."
Quelle: ZDF
Fußball kann Hoffnungen wecken auf ein besseres Leben und eine politische Rolle spielen für das Ringen um Gleichberechtigung: "Frauen, Fußball, Freiheit" ist eine Dokumentations-Reihe der ZDF-Auslandskorrespondent*innen, die zeigt, wie der Fußball den Weg junger Frauen beeinflusst.
Nach dem Einmarsch der russischen Truppen war einige Monate nicht ans Fußballspielen zu denken. Alles war in Aufruhr. Die Profispielerinnen verstreuten sich in alle Winde, in den Westen der Ukraine, nach Ungarn, nach Island. Alle Trainingspläne waren mit einem Mal hinfällig, auch die Hoffnung auf eine Teilnahme an der WM im fernen Australien zerstört.
"Ich habe zwei Monate nicht mal an Fußball gedacht"
"Als der Krieg ausbrach", erzählt Ija Andruschak, die Assistentin des Cheftrainers von Worskla Poltawa, "war das ein großer Stress.
Keine Spielerin blieb unberührt, keine Familie verschont. Am wenigsten die aus dem Osten des Landes,aus Charkiw, Dnipro oder Mariupol, das Putins Truppen dem Erdboden gleichmachten.
Die Spielerin Anna Petrik beschreibt, wie ihre Eltern die schrecklichen Ereignisse vor ihr geheim halten wollten. "Meine Mutter hat erzählt, dass bei der Flucht aus Mariupol ein Mann von den Russen vor ihren Augen erschossen wurde. Das hat sie uns lange verschwiegen, weil sie uns nicht beunruhigen wollte."
Fußball im Krieg als eine Art Sporttherapie
Das Leben muss weitergehen, auch im Krieg. Für die Spielerinnen ist es eine Art Sporttherapie. Der Mannschaft von Yana, Katerina und Anna fehlt nur noch ein Sieg zur Meisterschaft. Und den bringen die Frauen mühelos nach Hause. Ausgelassen jubeln, tanzen und freuen sie sich auf dem Spielfeld. Freude im Schatten der Tragödie, ein grausamer Widerspruch, mit dem sie erst lernen mussten zu leben.
"Krieg ist das Allerschlimmste", sagt Andruschak, "aber wir haben uns damit jetzt abgefunden."
Ungetrübte Freude haben sie hier schon lange nicht mehr empfunden
Das gesamte Team hat sich für den Abend herausgeputzt. Die Meisterfeier findet in einem georgischen Restaurant statt. Die Frauen freuen sich auf ein bisschen Abwechslung und Entspannung. Aber richtig ungetrübte Freude haben sie lange nicht mehr empfunden, weil sie kaum ausblenden können, dass ihre Heimat brutal überfallen wurde.
Katerina Korsun, selbst Verteidigerin bei Poltawa und in der Nationalmannschaft, sagt, sie sei nachdenklicher geworden. "Keiner weiß, was die Zukunft bringt", sagt sie.
Die Meisterfeier ist ein kostbarer Abend, den sie alle sicher so schnell nicht vergessen werden. Ein unbeschwerter Abend in einer grausamen Zeit.