Frankreich: Fußball als Versprechen sozialen Aufstiegs
Frauenfußball in Frankreich:Fußball als Versprechen sozialen Aufstiegs
von Luis Jachmann, Paris
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Seit Jahren dominieren französische Klubs Europas Frauenfußball. Doch in Frankreichs Problemvierteln bleiben Mädchen Bolzplätzen fern. Ein Pariser Verein kämpft dagegen an.
Das Viertel Goutte d’Or ist ein sozialer Brennpunkt in Frankreich.11.07.2023 | 13:15 min
Ein kurzer Sprint an Hütchen vorbei, dann ein platzierter Schuss in den Winkel. Lina lässt ihrer Mitspielerin im Tor keine Chance. An diesem schwülen Sommertag feilen die Spielerinnen des Pariser Vereins "Les Enfants de la Goutte d'Or" (Egdo) an ihrem Torabschluss.
Lina gehört zu den Treffsichersten im Klub. "Der Trainer bestimmt oft mich, um die Übungen vorzumachen. Ich bin die Erste, die sich darüber freut, wenn die Anderen es gut nachmachen", sagt Lina, Tochter marokkanischer Eltern.
Unbändiger Ehrgeiz und neues Selbstvertrauen
Dabei spielt sie erst zwei Jahren Fußball im Verein. Zu den Führungsspielerinnen auf dem Platz zählt sie dennoch bereits. Mit ihren 15 Jahren ist Lina eine der Ältesten im Mädchenteam von Egdo. Jeden Mittwoch, direkt nach der Schule, trainieren sie zwei Stunden Technik, Abwehrverhalten und Kombinationsspiel in der Halle.
Spielerinnen des "Les Enfants de la Goutte d'Or" beim Training.
Quelle: Luis Jachmann
Ihre Fertigkeiten am Ball unterscheiden sich zum Teil erheblich. Was sie aber alle eint, ist ein unbändiger Ehrgeiz, sich stetig zu verbessern und ihr neugewonnenes Selbstvertrauen.
Auf ihrem Heimweg nach dem Training kommt Lina am Bolzplatz ihres Pariser Viertels "Goutte d'Or" vorbei, auf Deutsch Goldtropfen - benannt nach der Farbe des Weins, der hier einst produziert wurde.
In einem sozialen Brennpunkt, dem Paris Viertel La Goutte D'Or, haben sich Mädchen zusammengeschlossen, um Fußball zu spielen.13.07.2023 | 2:14 min
Junge Männer müssen sich hinten anstellen
Am Wochenende treffen sich die Mädchen zum Trainingsspiel. Nicht selten kritisch beobachtet von Gruppen, die den Platz für sich beanspruchen. Doch am Samstagvormittag müssen die sich hinten anstellen. Bis vor wenigen Jahren war das noch anders, der Platz fest in der Hand von jungen Männern aus dem Kiez.
Nicht überall haben es Mädchen so schwer, ein Zeichen zu setzen. In Frankreich hat sich die Zahl der Mädchen und Frauen im Verein in zehn Jahren verdoppelt. Eine Entwicklung, die in der "Goutte d'Or" auf Widerstand stößt. Egdo stemmt sich gegen traditionelle Rollenbilder.
Verein im strukturschwachen Arbeiterviertel
Das Viertel steht für Vielfalt. Montmartre ist nur ein paar Fußminuten von hier entfernt. Doch Touristinnen und Touristen verirren sich nur selten in die pulsierenden Straßen der "Goutte d'Or" mit ihren vielen Läden, die Stoffe und Lebensmittel aus Westafrika und dem Maghreb anbieten.
Das strukturschwache Arbeiterviertel mit vielen Bewohnerinnen und Bewohnern mit Migrationsgeschichte ist als Problemviertel verschrien. Kleinkriminalität und Drogenhandel haben daran ihren Anteil. Die Polizei versucht diese Probleme mit regelmäßigen Streifen in Schach zu halten.
Nasser Hamici warnt davor, die Bewohner des Viertels deshalb vorzuverurteilen. Im Verein Egdo koordiniert er die Jugendarbeit:
Bei den jüngsten Krawallnächten ist es in der "Goutte d'Or", im Gegensatz zu anderen sozialen Brennpunkten ruhig geblieben. Vielleicht auch, weil sich die Perspektivlosigkeit der Jugendlichen hier in Grenzen hält.
Vereine erhöhen soziale Aufstiegschancen
Vereine übernehmen wichtige Präventionsarbeit: Egdo etwa erhöht mit einer Nachmittagsbetreuung, kulturellen Ausflügen und einem Ferienprogramm die Chancen sozialen Aufstiegs. Falls es mit dem Profifußball eines Tages nichts werden sollte, stehen den Mädchen andere Türen offen.
Lina träumt von der Karriere auf dem Rasen. "Ich trainiere jeden Tag, arbeite an mir. Denn ich möchte Fußballerin werden. Aber sicher kann ich mir nicht sein". In der kommenden Saison wird Lina jedenfalls noch stärker gefördert. Dann soll sie in ihrem Verein Teil einer Auswahlmannschaft werden.
Unter dem neuen Trainer Hervé Renard und mit der Rückkehr alter Stützen hat sich die Laune im französischen Frauen-Nationalteam deutlich entspannt. Gelingt jetzt der große Wurf?