Ein Jahr nach dem Oder-Fischsterben: Droht Wiederholung?

    Natur- oder Politikkatastrophe? :Kann sich das Oder-Fischsterben wiederholen?

    von Natalie Steger & Milena Drzewiecka
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    Je höher die Temperatur, desto größer die Angst: Wird sich das Szenario des Fischsterbens in der Oder aus dem letzten Sommer wiederholen, bei dem tonnenweise Fische starben?

    Tote Fische treiben im flachen Wasser des deutsch-polnischen Grenzflusses Oder.
    Nach dem Fischsterben vergangenen Sommer sind die Menschen an der Oder besorgt, ob sich die Katastrophe wiederholen könnte.
    Quelle: dpa

    Keine Fische aus der Oder essen und keine Tiere aus dem Fluss trinken lassen - das waren die Meldungen vor genau einem Jahr. Das Bild von den toten Hechten oder Zandern war das Hauptthema aus Polen. Der Fischbestand im Fluss wurde auf Jahre geschädigt.
    Und das Wort "Goldalge" wurde von allen, die sich für den Naturschutz interessieren, gegoogelt. Prymnesium parvum, so der biologische Name der Alge. Aber sind diese kleinen Jägerinnen die einzigen, die für die Umweltkatastrophe im Fluss verantwortlich sind?

    Was wir bis jetzt wissen:

    In einem sind sich die Wissenschaftler einig: Ohne die hohen Temperaturen und die salzigen Abwässer hätte sich die Goldalge in einem Süßwasserfluss nicht so massenhaft vermehren können. Wer hat ihr also den Nährboden bereitet?
    "Wir werden nicht ruhen, bis die Schuldigen hart bestraft sind", dröhnte Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki letzten Sommer und sprach von einem Giftmischer. Es gab eine Kontrolle nach der anderen, aber letztendlich wurde kein bestimmter Unternehmer als Alleinverantwortlicher benannt.
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    Umweltschützer und Medien fragen immer noch nach den verschmutzten Abwässern der polnischen Bergbauindustrie, aber die polnische Regierung klammert das Thema lieber aus. Kohle ist ihr wichtig. Über Staatsunternehmen wird - wenn überhaupt - nur gut gesprochen.
    Bundesumweltministerin Lemke will den Druck auf Polen erhöhen, die Oder zukünftig besser zu schützen:
    Es wurde alles getan, um eine zweite Katastrophe zu verhindern - lautet die Botschaft aus Warschau.

    Das Zurückhalten von Wasser in den Bergwerken wurde erhöht, so dass die Einleitungen begrenzt und an die Wasserparameter und die Lufttemperatur angepasst werden können. Wir haben eine gute Überwachung, wir sehen, wo sich Gefahr nähert.

    Anna Moskwa, polnische Umweltministerin, in einem Radio Zet Interview

    "Es bleibt dabei, dass die Salzeinleitungen reduziert werden müssen, das passiert auf polnischer Seite nicht, das ist ein Problem", sagte Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne), dem ZDF. Dieser Meinungsaustausch fand diesen Juni statt, als weitere hundert Kilogramme toter Fische im Gleiwitzer Kanal neuen Alarm auslösten.

    Fischsterben auch politische Katastrophe

    Das Fischsterben in der Oder war für viele nicht nur eine Umweltkatastrophe, sondern auch eine politische Katastrophe. Zwar teilt man sich den Fluss und auch das Problem, aber beide Seiten machen sich gegenseitig Vorwürfe. Und beide Seiten haben ihre separaten Berichte vorgelegt über das, was letztes Jahr passierte. Ein geplanter gemeinsamer Abschlussbericht kam nicht zustande.
    Dazu ein Vergleich der beiden Pressemitteilungen von Ende September 2022:
    • Das deutsche Umweltministerium: "Die wahrscheinlichste Ursache für das Fischsterben in der Oder ist ein sprunghaft gestiegener Salzgehalt, der gemeinsam mit weiteren Faktoren für eine massive Vermehrung einer für Fische giftigen Brackwasseralge geführt hat."
    • Aus dem polnischen Bericht: "Ein schnell wirkendes Toxin, das von 'Goldalgen' produziert wird, hat zum Tod der Fische geführt. (…) Die massive Mikroalgenblüte wurde hingegen durch sich überschneidende Faktoren verursacht: Veränderungen der Wasserparameter - einschließlich eines erhöhten Salzgehalts aufgrund einer hydrologischen Dürre, Hitze (…) und eine starke Sonneneinstrahlung."
    Für Deutschland war vor allem der Salzgehalt für das Sterben verantwortlich, für Polen die Hitze.

    Welche Rolle spielt der Bergbau?

    Im polnischen Abschlussbericht von März 2023 ist auch etwas zur Bergbauindustrie zu finden: "Dem Bericht zufolge beträgt der Anteil der kommunalen Abwässer an den jährlichen Einleitungen im Odereinzugsgebiet 60 Prozent (der Bergbau macht elf Prozent der eingeleiteten Abwassermenge aus)", steht da.
    Allerdings, die Einzige, die in Polen öffentlich verantwortlich gemacht wurde, bleibt: die Goldalge. Nicht die Bergbauindustrie, die für die Regierung sakrosankt ist.
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