Paralleljustiz: "Friedensrichter" und die Tumulte von Essen

    Religiöse Paralleljustiz?:"Friedensrichter" und die Tumulte von Essen

    von Peter Böhmer
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    Nach den Ausschreitungen in Essen scheint es wieder ruhig zu sein. Das könnte an einem "Friedenstreffen" und einem "Friedensrichter" liegen. Was steckt dahinter?

    Nordrhein-Westfalen, Essen: Polizisten bewachen mutmaßliche Teilnehmer einer Massenschlägerei in der Essener Innenstadt. Archivbild
    Nordrhein-Westfalen, Essen: Polizisten bewachen mutmaßliche Teilnehmer einer Massenschlägerei in der Essener Innenstadt. Archivbild
    Quelle: dpa

    Friedensrichter? Das Wort sorgt bei Polizei und Innenminister für Unmut. Denn es beschreibt eine Streitschlichtung, die an der deutschen Justiz vorbeigeht. Oft ist es ein Imam, der Streitereien zwischen muslimischen Familien beilegt. Den Familien kommt es dabei wohl oft überhaupt nicht in den Sinn, die deutsche Gerichtsbarkeit einzubeziehen. Oft genug erfährt die Justiz dann auch gar nichts davon.
    "Paralleljustiz" einer "Parallelgesellschaft", die das deutsche Recht missachte, sagt Matthias Werk von der Polizei Essen. Hintergrund sind die tumultartigen Auseinandersetzungen im Juni, als zwei Essener Großfamilien tagelang in mehreren Städten im Ruhrgebiet aufeinander losgingen.

    Konkurrenzkampf bei legalen und illegalen Geschäften

    Hunderte Männer, viele bewaffnet mit Baseballschlägern, Messern oder auch mit nägel-gespickten Dachlatten, prügelten aufeinander ein. Dabei ging es offenbar um Revierkämpfe: alteingesessene libanesische Clans gegen neugebildete syrische, die sich erst seit der Flüchtlingskrise 2015 gebildet haben.
    Es geht unter anderem um die Konkurrenz in legalen Geschäftsfeldern wie Restaurants oder Shishabars, sagt etwa Thomas Kufen, Oberbürgermeister von Essen. Und es gehe vielleicht auch darum, dass sich die Libanesen zurückgesetzt fühlen: sie selbst, seit Jahrzehnten in bürokratischen Duldungsschleifen gefangen, müssten mit ansehen, wie die Neuankömmlinge aus Syrien zum Teil schon eingebürgert würden. Nach Einschätzungen von Experten geht es aber auch um den Einfluss im Drogenhandel.

    Mysteriöser "Friedensgipfel" mit Dutzenden Teilnehmern

    Die brutalen Auseinandersetzungen scheinen nun erstmal vorbei zu sein. Über 100 Angehörige beider Familienverbünde waren nach Duisburg zu dem "Friedensgipfel" gefahren. Was dort genau vereinbart wurde, ist unbekannt, die Clans sprechen nicht mit den Behörden.
    Doch für Polizei und Innenministerium ist die Sache damit nicht vorbei:

    Das Rechtsstaatsverfahren wird wissentlich blockiert.

    Matthias Werk, Polizeisprecher

    Es gehe auch um Strafvereitelung: Denn vor dem Spruch eines Friedensrichters gäbe es erfahrungsgemäß verwertbare Aussagen der Betroffenen, danach würde eisern geschwiegen.
    Auch das Innenministerium in Nordrhein-Westfalen ist kritisch:

    Recht wird nur durch Gerichte gesprochen, nicht durch selbstbestimmte 'Friedensrichter'.

    Innenministerium Nordrhein-Westfalen

    Eine Paralleljustiz werde nicht geduldet und daher werde der Einsatz von sogenannten "Friedensrichtern" abgelehnt. Sie würden "das Ermittlungsverfahren der rechtsstaatlichen Behörden massiv erschweren."
    Es würde oft auch Geld gezahlt, in welcher Größenordnung, kann er aber nicht sagen. Von dem Duisburger Treffen wurde die Polizei nun überrascht, sie wusste nichts davon. "Wenn wir davon Kenntnis gehabt hätten, hätten wir das unterbunden", sagt Werk.

    Friedensrichter können auch sinnvoll eingesetzt werden

    Dabei ist der Einsatz eines Friedensrichters nicht per se schlecht, sagen auch Fachleute, wie der Neuköllner Polizeihauptkomminssar Claus Röchert dem Magazin "Cicero" erklärte. Denn speziell in den türkischen und arabischen Kulturen würden sich aus Lappalien schnell handfeste Auseinandersetzungen entwickeln. Gut, wenn da ein Vermittler, dem alle Seiten vertrauen, den Streit schon im Keim erstickt.
    Der Rechtswissenschaftler Fabian Wittreck forscht am Exzellenzcluster "Religion und Politik" an der Uni Münster. Es komme immer auf die Schwere der Auseinandersetzungen an, sagt er. Wenn sich etwa zwei deutsche Kleingärtner sprichwörtlich in die Haare bekämen in einer Schlägerei, und dann käme der Pfarrer und würde schlichten - "soll dann der Staat noch aktiv werden?"
    Unproblematisch seien auch Fälle, in denen ein Friedensrichter vor Einschaltung der Behörden tätig werde.

    Erst wenn die Ermittler aktiv würden, steht der Vorwurf der Strafvereitelung im Raum. Auch bei Schwerstkriminalität ist der Versuch, solche Taten per Schlichtung 'in der Familie' zu regeln, verboten und strafbar.

    Fabian Wittreck, Rechtsiwssenschaftler

    Kommissariat zu Clan-Kriminalität in Essen ermittelt weiter

    Das Strafverfahren der Polizei wegen der Tumulte im Ruhrgebiet läuft ohnehin weiter.
    Bei der Essener Polizei gibt es ein Kommissariat, das sich nur mit den Clans befasst, die Familien und deren Strukturen kennt. Derzeit würde noch zuhauf Videomaterial ausgewertet von den brutalen Auseinandersetzungen - ein deutscher Richter wird sich mit den Fällen wohl noch beschäftigen.

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