Antisemitismus-Eklat bei documenta: Experten ziehen Bilanz

    Nach Antisemitismus-Eklat:Bericht: documenta von "Ignoranz" geprägt

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    Experten begründen den Antisemitismus-Eklat bei der documenta mit mangelnder Organisation. Um das Problem zu bekämpfen solle der Bund mehr Verantwortung bekommen.

    Documenta 15
    Die documenta 15 wird immer noch aufgearbeitet.
    Quelle: Swen Pförtner/dpa

    Es habe an klaren Verantwortungsstrukturen und an Verfahren der Konfliktbearbeitung gefehlt - zu diesem Ergebnis kommt das Experten-Gremium zur Aufarbeitung des Antisemitismus-Eklats auf der documenta fifteen in Kassel.
    Die sieben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler führen die Vorfälle bei der Weltkunstausstellung im vergangenen Jahr in ihrem am Montag veröffentlichten Abschlussbericht auf strukturelle Schwächen zurück. Zugleich gaben die Experten Empfehlungen und sehen den Bund mehr in der Pflicht.

    Bericht: Mangelhafte Organisation

    Das Konzept der Dezentralisierung und der Machtabgabe, mit dem das indonesische Kuratorenkollektiv Ruangrupa angetreten sei, habe keine organisatorische Entsprechung gefunden, heißt es darin.
    "Der sich lange ankündigende Konflikt um Antisemitismus traf intern auf nur unzureichende Vorbereitungen", erklären die Experten, die von den Gesellschaftern der documenta, der Stadt Kassel und dem Land Hessen, im Zuge der Antisemitismusvorwürfe zur fachwissenschaftlichen Begleitung der Schau berufen worden waren.

    Schon vorher Anti-Israelismus-Verdacht

    Bereits vor der documenta fifteen im vergangenen Jahr waren erste Stimmen laut geworden, die Ruangrupa und einigen eingeladenen Künstlern eine Nähe zur anti-israelischen Boykottbewegung BDS vorwarfen.
    Kurz nach der Eröffnung der Schau Mitte Juni wurde eine Arbeit mit antisemitischer Bildsprache entdeckt und abgehängt. Später lösten weitere Werke scharfe Kritik und Forderungen nach einem Abbruch der Ausstellung aus, die neben der Biennale in Venedig als wichtigste Ausstellung für Gegenwartskunst gilt.
     Am Tag nach dem Ende der documenta fifteen werden die Säulen des Fridericianums übermalt, die der Künstler Dan Perjovsch gestaltet hatte.
    Antisemitismusvorwürfe haben die documenta 15 überschattet. Jetzt liegt ein fachwissenschaftliches Gutachten dazu vor. Wir sprechen mit Nicole Deitelhoff.06.02.2023 | 8:30 min
    Die documenta gGmbH habe weder in angemessener Weise auf die Antisemitismusvorfälle reagiert noch die Zumutungen ernst genommen, die die Vorfälle für die jüdische Gemeinschaft in Deutschland bedeutet hätten, erläutert die Expertengruppe.

    Jüdinnen und Juden mussten erleben, dass sich die documenta trotz aller frühzeitigen Hinweise nur schleppend und in Reaktion auf die öffentliche Skandalisierung mit dem Thema Antisemitismus zu beschäftigen begann - und selbst dann nur mit erheblichem Widerstand.

    Abschlussbericht

    Öffentliche Kulturinstitutionen hätten die Pflicht, sich mit antisemitischen Vorfällen auseinanderzusetzen. "Dieser Pflicht steht die Kunstfreiheit nicht entgegen", bilanziert das Gremium, an dessen Spitze die Konflikt- und Friedensforscherin Nicole Deitelhoff steht.

    Expertenrat: Bund soll mehr Verantwortung übernehmen

    Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler empfehlen unter anderem, dass der Bund seine Sitze im Aufsichtsrat der documenta wieder wahrnimmt. Die Bundeskulturstiftung hatte sich 2018 aus dem Gremium zurückgezogen, fördert die Schau aber weiterhin mit 3,5 Millionen Euro. "Zugleich sollte der Aufsichtsrat auch professionalisiert werden", so der Expertenrat.
    Vertreterinnen und Vertreter des Kunstbetriebs sollten demnach Sitze im Aufsichtsrat einnehmen. Wichtig sei auch eine Stärkung der Geschäftsführung gegenüber der künstlerischen Leitung. Zudem rät das Gremium, Konflikt- und Beschwerdeverfahren auszuarbeiten und zu institutionalisieren.
    "Die Auseinandersetzung mit Antisemitismusvorwürfen und Antisemitismus auf der documenta fifteen war über weite Strecken von Ignoranz, Verharmlosung und Abwehr geprägt", heißt es überdies in dem Bericht. Der Vertrauensverlust in den Aufarbeitungswillen deutscher Kulturinstitutionen, der sich damit verbinde, werde nur langfristig rückgängig gemacht werden können.
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    Quelle: dpa

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