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Sommer 1973:DDR-Woodstock: Jugend zu Gast in Ostberlin
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Im Sommer 1973 wehte ein ungewohnter Hauch der weiten Welt durch Ostberlin: Vor 50 Jahren strömten acht Millionen Besucher auf das Woodstock des Ostens - auch aus dem Westen.
Was genau war das eigentlich? Ein Festival mit Beat und Rock und Singeklubs auf 95 Bühnen und dem einzigartigen Titelsong: "Die junge Welt ist in Berlin zu Gast, und sie schert sich nicht darum, ob es dem Feinde passt."
Eine Leistungsschau der DDR unter dem wachsamen Auge von 4.000 Stasi-Leuten und 20.000 Volkspolizisten. Ein Diskutierclub auf dem Alexanderplatz. Eine Riesenfete im Blauhemd der Freien Deutschen Jugend, mit Küssen im Park und Quatschen bis zum Morgengrauen.
Acht Millionen Besucher bei Woodstock des Ostens
Die X. Weltfestspiele der Jugend und Studenten zogen vom 28. Juli bis zum 5. August 1973 rund 25.000 offizielle Gäste aus 140 Ländern nach Ostberlin. Zu den Veranstaltungen kamen gemäß offiziellen Zahlen acht Millionen Besucherinnen und Besucher, die meisten aus der DDR.
Eine gute Woche lang stand die sozialistische Republik Kopf. Ein Zauber habe über der Stadt gelegen, erinnern sich Teilnehmer.
Quelle: dpa
Für die einen war es eine gigantische Propagandashow des damals noch recht neuen SED-Chefs Erich Honecker. Für die anderen ein "Woodstock des Ostens" mit ungekannten Freiheiten und ansteckender Euphorie. Im Rückblick 50 Jahre danach: eine ziemlich schräge Mischung.
Es sind Hits, die fast ganz Deutschland kennt. Den "Farbfilm" von Nina Hagen, Karats "Über sieben Brücken" oder "Am Fenster" von City – Osthits. 27.06.2021 | 44:36 min
"Farbfilm" von Nina Hagen, Karats "Über sieben Brücken" - was machte ihn aus, den Hit aus der DDR?
Auch einig Hundert Westdeutsche beim Festival
Der Historiker Stefan Wolle war damals 22 Jahre alt und Student an der Humboldt-Universität. Während der Weltfestspiele waren er und seine Kommilitonen als Helfer eingespannt. Ideologisch waren Schüler und Studenten eingenordet.
Denn neben jungen Leuten aus dem sozialistischen Ausland von Kuba bis Vietnam kamen auch einige Hundert Westdeutsche in offiziellen Delegationen - denen sollten die jungen Genossen Paroli bieten.
"Drei Tage voller Frieden und Musik" war der Slogan für Woodstock 1969 in den USA:
Woodstock - "3 Days of Peace & Music"
"Drei Tage voller Frieden und Musik" - der Slogan für Woodstock 1969. 500.000 Menschen genießen das Lebensgefühl ihrer Generation: gegen Vietnam und bürgerlichen Lebensstil.
Quelle: ap
Diskussionsrunden mit Ostberlinern
So reisten nicht nur Jusos nach Ostberlin, sondern sogar die Junge Union. Im Gepäck hatten sie 20.000 Flugblätter mit Slogans "für Menschenrechte, für freie Wahlen, für Reisefreiheit".
Ideologisch gefestigte Ostberliner wussten in Diskussionsrunden auf dem Alexanderplatz zu kontern. Freiheit, schön und gut, aber die hohen Preise im Westen, die Ölkrise - was denn damit sei?
Ein DDR-Kultfilm feiert ebenfalls in diesem Jahr 50-jähriges Jubiläum:
1973: Honecker will Jugend vertrauen
Die ganze Veranstaltung ist vielleicht in dieser Form nur im Jahr 1973 vorstellbar - mitten im Kalten Krieg, aber zu Beginn der Entspannungspolitik unter Bundeskanzler Willy Brandt (SPD). Diese internationalen Jugendtreffen des Weltbunds der Demokratischen Jugend gab es in östlichen und blockfreien Staaten seit 1947, aber wohl nie zuvor oder danach so bombastisch aufgezogen.
Die DDR fühlte sich zwölf Jahre nach dem Mauerbau gefestigt, der neue starke Mann Honecker schien bereit, die Zügel etwas lockerer zu lassen und der "Jugend zu vertrauen", wie ein Slogan von damals hieß.
Am 17. Juni 1953 begehrten die Bürger so laut wie nie zuvor gegen das DDR-Regime auf:
Historiker: nichts sehen, nichts hören, nichts sagen
Allzu viel Vertrauen sollte es allerdings auch wieder nicht sein. Die Hauptabteilung XX. des Ministeriums für Staatssicherheit versuchte, jede erdenkliche "feindliche Aktivität" vorauszuahnen.
Während der Spiele hätten sich die Behörden dann verhalten wie die sprichwörtlichen drei Affen: nichts sehen, nichts hören, nichts sagen, berichtet Historiker Wolle.
Quelle: Verena Schmitt-Roschmann, dpa
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