Chinesisches Schiff: Ostsee-Pipeline absichtlich zerstört?

    FAQ

    Spur führt auch nach Russland:Chinesisches Schiff zerstörte wohl Gasleitung

    von Nils Metzger und Oliver Klein
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    Ein chinesisches Frachtschiff soll eine Ostsee-Pipeline zerstört haben. Unfall oder Absicht? Was ist über den Fall bekannt - und welche Verbindungen hat das Schiff nach Russland?

    Die Gaspipeline Balticconnector verbindet Finnland und Estland. Anfang Oktober wurde sie so stark beschädigt, dass sie seitdem außer Betrieb ist. Nahezu zeitgleich gab es auch Schäden an Untersee-Telekommunikationskabeln, die Estland mit Finnland und Schweden verbinden.
    Finnische Ermittler gehen nun davon aus, dass an der beschädigten Pipeline ein chinesisches Frachtschiff Schuld sein soll - mit seinem Anker soll es die Pipeline aufgerissen haben. Unfall oder Sabotage? Was ist bisher über den Fall bekannt? ZDFheute beantwortet die wichtigsten Fragen.

    Was ist bisher bekannt?

    Finnische Behörden konnten nach eigenen Angaben einen sechs Tonnen schweren Anker aus dem Meer bergen, wenige Meter von der zerstörten Pipeline entfernt. Die finnische Polizei veröffentlichte zudem Fotos von mutmaßlichen Schleifspuren des Ankers auf dem Meeresgrund, in Richtung der Pipeline. Spuren am Anker selbst deuteten darauf hin, dass der Anker "Kontakt" mit der Leitung hatte, heißt es in dem finnischen Bericht.

    Fotos in Social Media zeigen den Frachter offenbar mit nur einem Anker

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    Der Frachter "Newnew Polar Bear" war zum fraglichen Zeitpunkt des Vorfalls genau an der Stelle, an der die Leitung brach - und dem Schiff fehlt nun offenbar ein Anker: Fotos zeigen den Frachter an einem russischen Hafen, es ist nur noch auf der rechten Seite ein Anker erkennbar.

    Was hat Russland mit dem Frachtschiff zu tun?

    Die "Newnew Polar Bear" fährt unter der Flagge Hongkongs und gehört dem Reedereibetreiber Yangpu Newnew Shipping - der auf den Handel mit Russland spezialisiert ist. Seine regelmäßige Route zwischen China und Russland hat das Frachtschiff erst im Sommer 2023 über die für Russland strategisch wichtige Nordostpassage aufgenommen.
    Die Reederei feierte das dem Fachportal "Construction Business News" zufolge als "eine der strategischen Prioritäten der Zusammenarbeit zwischen China und Russland". Die Ausweitung dieser Route mit der "Newnew Polar Bear" und weiteren Schiffen werde die "Beziehungen zwischen den beiden Ländern stärken".
    Anker der "Newnew Polar Bear"
    Finnische Behörden präsentieren den Schiffsanker, der nahe der Pipeline gefunden wurde - gehört er zur "Newnew Polar Bear"?
    Quelle: dpa

    Russische Medien verweisen auf einen weiteren Grund, warum die "Newnew Polar Bear" für Russland so wichtig ist: Sie hält auf ihrem Weg auch in der russischen Exklave Kaliningrad. Litauen hatte 2022 den Güterverkehr nach Kaliningrad in Folge des Ukraine-Kriegs erschwert. Die schwierige Versorgungslage der Exklave sei einer der Gründe für die Einrichtung der Linie, schreibt das russische Marine-Fachportal "Mediapaluba". Dass das Schiff nun ausgerechnet die Pipeline beschädigt, die die baltischen Staaten und das neue Nato-Mitglied Finnland mit Erdgas versorgen soll, wirft zusätzlich Fragen auf.

    ...ist eine Erdgasleitung, die Finnland und Estland verbindet. Sie kann in beide Richtungen betrieben werden und dient dazu, die Versorgung mit Erdgas zwischen den beiden Ländern zu verbessern und die Abhängigkeit von Russland als Hauptlieferant zu verringern. Die Pipeline ist ein wichtiger Schritt zur Integration der baltischen Staaten in das europäische Gasnetz.

    Welche weitere Spur verfolgen die Ermittler?

    Auch in Estland laufen Ermittlungen zu den Vorfällen. Gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters sagten estnische Ermittler, dass neben der "Newnew Polar Bear" auch ein russisches Schiff namens "Sevmorput" in der fraglichen Region gewesen sein soll.
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    Dessen Betreiber, die staatliche Nuklearbehörde Rosatom, stritt gegenüber Reuters eine Beteiligung ab: "Wir weisen jede Vermutung als grundlos zurück, dass ein von Rosatom betriebenes Schiff in irgendeiner Weise mit dem Balticconnector-Vorfall (...) in Verbindung stehen könnte." Das Schiff habe den Golf von Finnland ohne Auffälligkeiten durchquert.

    Unfall oder Sabotage – was ist wahrscheinlicher?

    Bislang gibt es keine gesicherten Erkenntnisse, ob es sich bei dem Vorfall um einen Unfall oder eine gezielte Sabotage handelt. Die Ermittlungen der Behörden laufen weiter und finnische Ermittler wollten darüber am Dienstag nicht spekulieren.
    Für Johannes Peters, Marine-Experte am Institut für Sicherheitspolitik der Universität Kiel, ist die Zahl der Schadstellen ein möglicher Hinweis. "Soweit wir wissen, handelt es sich ja nicht um eine Schadstelle, sondern um mindestens zwei: Eine an der Pipeline nahe der finnischen Hoheitsgewässer und eine am Kabel nahe der estnischen Hoheitsgewässer." Hinzu käme möglicherweise noch die weitere Stelle am beschädigten Seekabel zwischen Estland und Schweden.

    Aus diesem Grund halte ich eine bewusste Beschädigung für wahrscheinlicher. Ob diese durch das chinesische Schiff, das russische oder durch andere verursacht wurden, gilt es zu klären.

    Johannes Peters, Institut für Sicherheitspolitik, Universität Kiel

    Im Falle einer bewussten Sabotage durch die "Newnew Polar Bear" müsste man davon ausgehen, dass die Besatzung auf Anweisung Pekings gehandelt habe, sagt Peters ZDFheute.

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    Was könnte China mit einer möglichen Sabotage bezwecken?

    "Eine mögliche Motivation wäre dann, dass China Russland direkt in seinen hybriden Aktionen gegen den Westen unterstützen möchte und gleichzeitig die Möglichkeit zum plausiblen Dementi behalten will", sagt Peters.
    Ein Frachtschiff für so eine waghalsige Aktion zu nutzen, hätte einen zentralen Vorteil für China: "Peking könnte jederzeit argumentieren, dass es nicht für die seemännischen Fehlleistungen einzelner ziviler Crews verantwortlich ist."

    Bisher ist China aber nicht durch ein solches Vorgehen aufgefallen und ich halte es für fraglich, ob es ein solches Risiko auf sich nähme, ohne einen eigenen Nutzen zu haben.

    Johannes Peters, Institut für Sicherheitspolitik, Universität Kiel

    Dass mit Balticconnector und Nord Stream nun innerhalb eines Jahres zweimal kritische Pipeline-Infrastruktur zerstört wurde, besorgt den Experten Peters. "Das ist sicherlich eine neue Qualität und zeigt uns, dass Verwundbarkeit eben nicht erst an der militärischen Schwelle beginnt."

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