Kulturhauptstadt Europas 2025:Chemnitz, die Unbekannte
Karl-Marx-Büste, Plattenbauten, Nazi-Aufmärsche - das verbinden viele mit Chemnitz. Doch die Kulturhauptstadt Europas 2025 hat mehr zu bieten.
Unter dem Motto "Sieh das Ungesehene" will Chemnitz zeigen, was es kulturell zu bieten hat. Mit einem großen Straßenfest startet die Stadt in das Kulturhauptstadt-Jahr 2025.18.01.2025 | 1:35 min
Karl Marx war nie in Chemnitz, doch sein Gesicht prägt die Stadt bis heute. Hinter der 40 Tonnen schweren Bronzebüste, die von den Chemnitzern "Nischel" genannt wird, liegt das Finanzamt. Eine Stadt voller Brüche. Mit Relikten aus längst vergangenen Zeiten. "C - the Unseen" - so lautet das offizielle Motto der diesjährigen Kulturhauptstadt Europas. Unsichtbares sichtbar machen - mit diesem Versprechen will sich Chemnitz behaupten und hat dabei einiges zu bieten.
Im Foyer des Kulturzentrums "DasTietz" befindet sich ein versteinerter Wald, ein Zeitfenster, wie es in Chemnitz vor 291 Millionen Jahren aussah. Damals lebten hier Tausendfüßler, Skorpione und
Ursaurier in einem tropischen Urwald, bis ein Vulkanausbruch die Landschaft unter Asche begrub und für Jahrmillionen konservierte. Bereits 1546 berichtete der Chemnitzer Gelehrte Georgius Agricola von versteinerten Bäumen im Chemnitzer Boden, prägte den Begriff "Fossil" und begründete damit die moderne Geologie.
Die drittgrößte Stadt Sachsens rückt dieses Jahr ins kulturelle Zentrum Europas. Zwei Millionen Besucher aus dem In- und Ausland werden erwartet, die sich auf mehr als 1000 Veranstaltungen freuen können.04.01.2025 | 4:10 min
Chemnitz - das "sächsische Manchester"
Chemnitz - eine Stadt, erbaut auf einem steinernen Wald, benannt nach dem Fluss, der ihr Wasserkraft für den industriellen Aufstieg gegeben hat, mit einer langen Tradition von Innovation und Erfindergeist. Im 19. Jahrhundert wird Chemnitz als "sächsisches Manchester" bekannt - wegen der florierenden Industrie, aber auch wegen des Rauchs der Schlote und der schlechten Lebensbedingungen. Tausende Dampf-, Spinn- und Webmaschinen werden hier produziert und weltweit exportiert. Anfang des 20. Jahrhunderts ist Chemnitz die reichste Stadt
Deutschlands.
Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung blühte auch die Kultur: 1914 wurde Richard Wagners Parsifal erstmals in
Sachsen aufgeführt - unmittelbar nach Ablauf einer 30-jährigen Schutzfrist. Der Erfolg brachte Chemnitz den Beinamen "Sächsisches Bayreuth" ein.
Chemnitz ist 2025 Europäische Kulturhauptstadt. Den Auftakt begleiten wir mit einem "Kulturzeit extra". Cécile Schortmann ist vorab vor Ort.17.01.2025 | 5:24 min
Chemnitz wird Karl-Marx-Stadt
Der Zweite Weltkrieg und die deutsche Teilung brachten eine Zäsur. Chemnitz wurde 1953 in "Karl-Marx-Stadt" umbenannt. 1971 weihte die
DDR den monumentalen Marx-Kopf ein. Symbol des "unzerstörbaren Freundschaftsbundes" mit der Sowjetunion, wie es SED-Generalsekretär Erich Honecker bei der Einweihung im Oktober 1971 vor rund 250.000 Menschen formulierte:
"Marx war und ist an unserer Seite. Und wir können gemeinsam ihm gerade in die Augen blicken, denn sein Vermächtnis wird durch unsere Taten täglich aufs Neue erfüllt."
Was wissen wir überhaupt über die Kulturhauptstadt Chemnitz? Es gibt hier den Nischel, das große Karl-Marx-Monument, aber was sonst noch?18.01.2025 | 4:50 min
Schlüsselstadt des Kalten Krieges
Geopolitisch wurde Chemnitz zu einer Schlüsselstadt des Kalten Krieges. So förderte das Chemnitzer Bergbauunternehmen Wismut AG über 40 Jahre lang Uran aus dem Erzgebirge, das für die sowjetische Atombombenproduktion unverzichtbar war. Als Staat im Staate" war das Unternehmen eng mit SED und Stasi verbunden. Geheimhaltung war oberstes Gebot.
Ende der 1960er Jahre arbeiteten dort rund 1.200 Inoffizielle Mitarbeiter. Der Uranabbau trug zum Aufstieg der sowjetischen
Atommacht bei - und machte Karl-Marx-Stadt zur "heimlichen Atomstadt".
Seit Jahresbeginn ist Chemnitz die neue europäische Kulturhauptstadt 2025. Gemeinsam mit Nova Gorica in Slowenien und Gorizia in Italien zeigt die Stadt ihr kulturelles Potenzial.03.01.2025 | 1:36 min
Chance für Chemnitz, sich neu zu erfinden
1990 erhielt Chemnitz durch eine Bürgerbefragung seinen alten Namen zurück - 76 Prozent der Stimmberechtigten sprachen sich dafür aus. Der Hoffnung auf einen Neuanfang folgte die Ernüchterung: Das NSU-Trio tauchte hier unter, 2018 gingen Bilder von Naziaufmärschen in der Stadt um die Welt. Auch diese Seite von Chemnitz spielt im Kulturhauptstadtjahr eine Rolle: derzeit entsteht hier ein Dokumentationszentrum zum NSU-Terror.
Mehr als 90 Millionen Euro fließen durch den Titel insgesamt nach Chemnitz und in 38 Kommunen des Erzgebirges - rund 150 Projekte, 1.000 Veranstaltungen - vor allem zivilgesellschaftliches Engagement, die Frage nach Industriekultur und ostdeutscher Identität stehen im Vordergrund. Chemnitz will aus den Brüchen der Vergangenheit Zukunftsperspektiven schaffen. Mit dem Titel Kulturhauptstadt Europas hat die Stadt die Chance, sich nicht nur neu zu präsentieren, sondern auch neu zu erfinden.
Cornelius Janzen ist ZDF-Redakteur und Reporter für 3sat Kulturzeit.
Chemnitz ist bunt und vielfältig – das will die Stadt im Kulturhauptstadtjahr zeigen. Das Motto: "C the Unseen". Geplant sind 2025 über tausend Kunst-Veranstaltungen.03.01.2025 | 2:04 min