Unterschieden wird heute zwischen 367 Hauptformen von Kopfschmerzen. „Die diagnostischen Kriterien wurden von Experten der Internationalen Kopfschmerzgesellschaft erarbeitet und gelten weltweit“, erklärt Prof. Dr. Hartmut Göbel, Neurologe von der Schmerzklinik Kiel. Sie werden drei Hauptgruppen zugeordnet. Bei den sogenannten primären Kopfschmerzen sind die Kopfschmerzen eigenständige Erkrankungen. Sie sind auf keine andere Erkrankung zurückzuführen. Dazu zählen die Migräne, der Kopfschmerz vom Spannungstyp, der Clusterkopfschmerz und eine Reihe weiterer Kopfschmerzformen.
Bei den sekundären Kopfschmerzen handelt es sich um sogenannte symptomatische Kopfschmerzen. Hier sind die Kopfschmerzen keine eigenständige Erkrankung, sondern ein Symptom, das auf eine andere zugrundeliegende Erkrankung zurückzuführen ist. Beispiele sind Kopfschmerzen nach einem Schädel-Hirn-Trauma, nach einer Hirnblutung oder bei Bluthochdruck. Besonders wichtig ist der Medikamentenübergebrauchskopfschmerz, der auftritt, wenn man zu viel Akutmittel gegen Kopfschmerzen einnimmt.
Die dritte Gruppe wird von den sogenannten Neuralgien und Gesichtsschmerzen gebildet. Hier handelt es sich um Schmerzen, die durch eine Störung der nervalen Funktion auftreten. Ein bekanntes Beispiel ist die Trigeminusneuralgie oder der Schmerz nach einer Herpes-Zoster-Infektion. Die Kopfschmerzen werden nach dem jeweiligen Kopfschmerzphänotyp unterschieden. „Zusätzlich sind klinische Untersuchungen erforderlich. In der Zusammenschau kann dann der Arzt die Kopfschmerzdiagnose stellen“, so der Experte.
„Enzyklopädie der Neurologie“
Die Migräne ist eine neurologische Erkrankung, die episodisch auftritt, mit einer Kopfschmerzdauer von vier bis 72 Stunden. Es gibt viele charakteristische Kopfschmerzmerkmale: Der Kopfschmerz ist einseitig, umschrieben präsent und hat einen pulsierenden, pochenden Charakter. Körperliche Tätigkeit verstärkt die Schmerzen. Die Schmerzintensität ist sehr stark und beeinträchtigt die Alltagsaktivität. An Begleitsymptomen können Übelkeit, Erbrechen sowie Lärm- und Lichtüberempfindlichkeit auftreten.
Die Migräne tritt in 45 verschiedenen Unterformen auf – mit Aura bringt sie neurologische Begleitsymptome mit sich. Dabei finden sich Zickzacklinien im Gesichtsfeld, sensorische Störungen, Kribbelmissempfindungen aber auch Lähmungen oder zahlreiche neuropsychologische Störungen bis hin zum Bewusstseinsverlust. „Die Migräne wird daher auch als Enzyklopädie der Neurologie bezeichnet“, führt Göbel aus.
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Ärztlich abklären lassen
„Wenn Kopfschmerzen neu auftreten und man noch kein Konzept zur Diagnose und zur Behandlung hat, sollte man Kopfschmerzen immer ärztlich diagnostizieren und klassifizieren lassen“, so Prof. Dr. Göbel. Dies gelte auch, wenn Kopfschmerzen häufiger werden oder die Behandlung nicht anspricht.
Zum Arzt sollte man auch gehen, wenn Kopfschmerzen mit ungewöhnlichen Begleitsymptomen auftreten wie Fieber, Schüttelfrost, Lähmungen oder Bewusstseinsveränderungen. „Dies können Kopfschmerzen sein, die durch gefährliche oder sogar lebensbedrohliche Erkrankungen bedingt werden“, warnt der Experte. Treten trotz langjährigem Kopfschmerzverlauf Kopfschmerzen in bislang ungewohnter Ausprägung auf, sollte ebenfalls umgehend ein Arzt aufgesucht werden. Es könne sich dabei zum Beispiel um eine Hirnblutung handeln, die lebensbedrohlich ablaufen kann.
Akutmedikation auf Dauer keine Lösung
Schmerzmittel reduzieren die Schmerzempfindlichkeit zeitweise, ohne dabei ursächlich in den Schmerzverlauf einzugreifen. Die eigentlichen Krankheitsprozesse laufen weiter ab und werden zeitweise unterdrückt. „Das ist bei seltenen Kopfschmerzen, die nur episodisch von kurzer Dauer auftreten, kein Problem. Hier ist eine Arzneimitteltherapie sachgerecht“, so der Experte.
Treten Kopfschmerzen jedoch immer häufiger auf, könne es vorkommen, dass gerade durch die Akutmedikation die Kopfschmerzhäufigkeit sogar erhöht wird. „Wir sprechen dann vom sogenannten Medikamentenübergebrauchskopfschmerz“, erklärt Göbel. Die Schmerzempfindlichkeit im Körper passt sich an die Reduktion der Schmerzempfindlichkeit an und wird immer mehr erhöht. „Will man jetzt das Schmerzmittel weglassen, hat man spontan eine sehr hohe Schmerzempfindlichkeit und es kommt zum sogenannten Rückschlagskopfschmerz.“ Dieser motiviere, erneut ein Schmerzmittel einzunehmen – ein Teufelskreis entsteht. „Kopfschmerzen werden so immer häufiger, bis hin zu einem permanenten Dauerkopfschmerz, der über Jahre oder gar Jahrzehnte bestehen kann“, sagt Göbel. Langzeitfolgen können sowohl im körperlichen als auch im psychischen Bereich gravierend sein.
Selbst aktiv werden
„Kopfschmerzen sind in der Regel komplexe Erkrankungen. Sie müssen genauso ernst genommen werden wie zum Beispiel Diabetes, Bluthochdruck oder eine Asthmaerkrankung. Man benötigt ein umfassendes Konzept, Wissen und Information sind dabei die ersten wichtigen Bausteine“, sagt Prof. Dr. Göbel. Ein Verständnis zur Entstehung der Erkrankung sei dabei wesentlich. Verhaltensmaßnahmen, die Kopfschmerzen verstärken oder aber auch reduzieren können, müssen bekannt sein und geübt werden. „Dazu zählt ein regelmäßiger Tagesrhythmus, eine gleichmäßige Ernährung, Pausen im Alltag, eine konstante Arbeitsbelastung und auch die Organisation von psychischen Faktoren, die Schmerzen verstärken oder lindern können.“ Sporttherapie und Entspannungsverfahren spielten dabei ebenfalls eine wichtige Rolle.
Auch die eingehende Beschäftigung mit der vorbeugenden medikamentösen Therapie, ihren Möglichkeiten und ihren Grenzen sei wichtig. Kenntnisse zu Regeln der Attackentherapie seien ebenfalls essentiell, um Kopfschmerzen zu bewältigen. „Man kann sich also bei Kopfschmerzen nicht einfach behandeln lassen. Man muss selbst handeln. Erst wenn man sein eigener Anwalt in Sachen Kopfschmerzen wird, wird man einen zielgerichteten und erfolgreichen Weg gegen Kopfschmerzen langfristig finden“, sagt der Experte. Die Dokumentation des Kopfschmerzverlaufes sowie eine sorgfältige Erfolgskontrolle sind dazu wichtig. Man sollte einen digitalen Kopfschmerzkalender führen und die vielfältigen digitalen Möglichkeiten zur Verlaufskontrolle nutzen. „Wir haben dazu speziell die Migräne-App entwickelt, die ein umfangreiches Wissen und Informationen zu Verhaltenstechniken zur Verfügung stellt“, sagt Prof. Dr. Hartmut Göbel.