Auslöser für diesen Forschungsboom war der Fund der Himmelsscheibe von Nebra. Sie wurde 1999 von Raubgräbern auf dem Mittelberg in Sachsen-Anhalt entdeckt und gestohlen, konnte aber in einer krimiähnlichen Aktion sichergestellt werden. Seitdem ist sie im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle (Saale) ausgestellt.
Hightech vor 4000 Jahren
Die Himmelsscheibe gilt als der bedeutendste archäologische Fund auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands und ist eines der bestuntersuchten archäologischen Objekte der Geschichte. Die älteste konkrete Himmelsdarstellung der Menschheit diente wahrscheinlich als Kalender. Doch welche Kultur hatte vor rund 4000 Jahren das Wissen und die Technik, so ein Hightech-Objekt herzustellen?
Bisher wurde angenommen, dass damals auf dem Gebiet Mitteldeutschlands Stammesfürsten über einfach strukturierte Gemeinschaften von Jägern und Viehzüchtern herrschten. Doch die Entdeckung der Himmelsscheibe von Nebra hat den Blick auf die Frühe Bronzezeit verändert. Der Fund wurde der Schlüssel zum Verständnis einer Gesellschaft, die weiter entwickelt war, als bisher vermutet, obwohl sie weder die Schrift kannte, noch gewaltige Steinmonumente hinterlassen hat.
Spektakuläre Entdeckungen aus der Welt der Himmelsscheibe
Mirko Drotschmann trifft Forschende, die gerade dabei sind, diese untergegangene Welt der Himmelsscheibe wieder ans Licht zu bringen – mit vielen spektakulären Entdeckungen. Dazu gehört der gigantische Grabhügel bei Dieskau in Sachsen-Anhalt. Das Monument war ursprünglich 15 Meter hoch und hatte einen Durchmesser von 65 Metern – Symbol für die Macht und den Reichtum des Bestatteten. Oder die aus Baumstämmen errichtete Ringanlage bei Pömmelte in der Nähe von Magdeburg, die Sonnenobservatorium und Ritualort zugleich war. Knochen- und Schädelfunde lassen vermuten, dass hier an der Schwelle von der Steinzeit zur Bronzezeit Menschen geopfert wurden. Ganz in der Nähe der Anlage legen Archäologen zurzeit die größte frühbronzezeitliche Siedlung Mitteleuropas frei.
Grundlage für den Aufstieg des Reichs der Himmelscheibe war die Bronze, ein Werkstoff, der in der Natur nicht als Erz vorkommt, sondern aus einer Legierung von Kupfer und Zinn entsteht. Die Rohstoffe mussten aus verschiedenen Regionen Europas herbeigeschafft werden. Die Fürsten in Mitteldeutschland kontrollierten offenbar die Warenströme und wurden dadurch wohlhabend und mächtig. Ihr Reich hat vermutlich viele Jahrhunderte in der fruchtbaren Region zwischen Harz, Saale und Elbe existiert.
Lebensumstände im bronzezeitlichen Alltag
Anhand von archäologischen Funden ist man heute in der Lage, das Alltagsleben der bronzezeitlichen Menschen zu rekonstruieren. Sie lebten in Langhäusern, die sich mehrere Familien teilten – im Winter sogar mit dem Vieh. Nicht nur Lebensumstände, Kleidung oder Ernährung lassen sich inzwischen nachvollziehen, Gräberfunde im Lechtal nahe Augsburg bringen auch erstaunliche Erkenntnisse über die Rolle der Frauen vor 4000 Jahren zutage. Sie waren deutlich mobiler als Männer und brachten vermutlich das Wissen der Bronzeherstellung aus dem Technologiezentrum bei Halle in den Süden Deutschlands. Grund dafür war ein neues Heiratssystem, das junge Frauen dazu zwang, an den Heimatort ihres zukünftigen Mannes zu ziehen.
Jahrhunderte lang war die Himmelsscheibe Ausdruck von Macht und Prestige der Herrscher von Nebra. Um das Jahr 1600 vor Christus wird sie auf dem Mittelberg bei Nebra in der Erde deponiert. Warum ist nicht bekannt. Mit der Himmelsscheibe verschwand das Reich von Nebra im Dunkel der Geschichte – bis die Scheibe nach etwa 3600 Jahren wieder auftauchte; und mit ihr die Geschichte Deutschlands in der Frühen Bronzezeit.