Vor rund einhundert Jahren erlebten die Deutschen ein wildes Jahrzehnt. Der Erste Weltkrieg war zu Ende und das prüde Kaiserreich Geschichte. Vergnügen, Rausch und Tempo bestimmten das neue Lebensgefühl. Es war ein Aufbruch in allen Bereichen, aber auch mit Schattenseiten.
Sprühender Erfindergeist und Emanzipation der Frau
Die Goldenen Zwanziger stehen für Tabufreiheit, Experimentierfreude in Kunst und Film, für sprühenden Erfindergeist und für die Emanzipation der Frau. Alles golden also? Nicht für alle Deutsche: Viele Hunderttausende sind Kriegsinvaliden, es gab Massenarmut, Arbeitslosigkeit und verdeckte Prostitution. Was ist Mythos, was Wahrheit an unserem Bild von den Goldenen Zwanzigern? Mirko Drotschmann zeigt das schillernde Jahrzehnt zwischen Kaiserzeit und Diktatur in allen Facetten. Dafür besucht er Revuepaläste und Bauhausvillen, testet einen Raketenwagen und steigt in eine der ersten Lufthansa-Maschinen. In einem virtuellen Studio lässt der Moderator den größten Amüsiertempel Berlins, das Haus Vaterland, wieder auferstehen und verwandelt sich in ein Kunstobjekt des Expressionismus, Kubismus und Surrealismus.
Die Goldenen Zwanziger umfassen die Zeit zwischen der Hyperinflation 1923 und der Weltwirtschaftskrise 1929. Nur sechs Jahre, in denen die Wirtschaft brummte und viele Deutsche eine Zeit von Wohlstand und Freiheit genießen konnten. Erstmals lebten sie in einer Demokratie – der Weimarer Republik.
Die Verfassung der Weimarer Republik galt als eine der fortschrittlichsten der Welt. Frauen durften zum ersten Mal in der deutschen Geschichte wählen und sich sogar wählen lassen. Fast jede dritte Frau war damals berufstätig: als Stenotypistin, "Fräulein vom Amt", aber auch als Rechtsanwältin oder Juristin. Zum Erkennungszeichen der "neuen Frau" wurde die Mode: Flapperkleid und Bubikopf ersetzten die langen Zöpfe und engen Korsagen der Kaiserzeit.
Erste Autoschwemme in der Republik
Auch das Auto wurde zum Symbol der weiblichen Emanzipation. Dafür stand vor allem Clärenore Stinnes, die als erster Mensch überhaupt mit einer Limousine die Welt umrundete. Die Brüder Wilhelm und Fritz Opel importierten 1923 ein neuartiges Fertigungsverfahren aus Amerika – das Fließband – und senkten damit die Produktionskosten. Der Opel Laubfrosch wurde zum "Auto für Jedermann". BMW, Daimler und Audi zogen nach. 1924 ratterten über 100.000 Autos durch die Weimarer Republik.
Kürzere Arbeitszeiten durch die Einführung des Achtstundentags ließen die Freizeitkultur aufblühen. Autorennen, Boxkämpfe oder Radsport wurden zum Massenvergnügen. Nach den Erfahrungen von Krieg und Wirtschaftskrise feierten die Deutschen, als ob es kein Morgen gibt. Die Hauptstadt Berlin warb mit mehr als 100 Nachtclubs, Bühnen und Varietés um die vergnügungssüchtige Kundschaft.
Goldene Jahre für die Wissenschaft
Auch in Bezug auf die Wissenschaft waren die Zwanziger Jahre "golden". Die Weimarer Republik stellte ein Drittel aller Nobelpreisträger, darunter Fritz Haber, Max Planck oder Albert Einstein. Der Berliner Arzt Magnus Hirschfeld gründete das weltweit erste Institut für Sexualwissenschaft. Mit seinem Einsatz für die Anerkennung von gleichgeschlechtlicher Liebe und Transsexualität war er seiner Zeit weit voraus. Und der schwäbische Ingenieur Claude Dornier brach mit seinen Amphibien-Flugzeugen zu neuen Ufern auf. Zum Beispiel mit dem "Wal", einem Flugboot, das 1925 Roald Amundsen zu seiner Arktisexpedition flog, oder der DO-X, das seinerzeit das größte Flugzeug der Welt war.
Der Börsencrash in den USA im Oktober 1929 läutete das Ende der schillernden Zwanziger Jahre ein. Auch in Deutschland stürzten die Aktienkurse in den Keller – bankrotte Firmen, Massenarbeitslosigkeit und Verelendung waren die Folge. Die Krise erschütterte die junge Weimarer Republik. In weniger als vier Jahren ergriffen die Nationalsozialisten unter Adolf Hitler die Macht und versetzten Deutschland und den Rest der Welt in Angst und Schrecken.