Grundgesetz: Darf der Begriff "Rasse" darin stehen?
Tag des Grundgesetzes:Darf "Rasse" im Grundgesetz stehen?
von Samuel Kirsch
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Der Begriff "Rasse" ist historisch schwer belastet, steht aber nach wie vor im Grundgesetz. Die Ampel-Koalition will ihn ersetzen, doch nicht jeder findet das richtig.
Es sind Bezeichnungen, die abstoßen und beschämen: "Deutschblütiger", "Mischling 1. Grades", "Mischling 2. Grades" - Kategorien der nationalsozialistischen "Nürnberger Rassengesetze".
Diese teilten in der Zeit von 1935 bis 1945 Menschen offiziell in Klassen ein, beraubten Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma und viele andere Menschen ihrer Rechte - auf Grundlage einer Ideologie, die von unterschiedlichen Menschen-"Rassen" ausging.
Die rassistischen Nürnberger Gesetze definierten im Nationalsozialismus, wer als Jude galt - als Grundlage für Diskriminierung und Verfolgung. 01.01.2022 | 8:00 min
In Gesetzesform gegossenes Unrecht, das heutzutage eindeutig gegen unsere Verfassung verstößt. Das Grundgesetz, verkündet am 23. Mai vor genau 74 Jahren, enthält von Beginn an den Satz:
Diskriminierungsverbot mit umstrittener Formulierung
Ein Diskriminierungsverbot zwar, das aber doch an den Begriff "Rasse" anknüpft, obwohl es der Vorstellung unterschiedlicher menschlicher Rassen an einer naturwissenschaftlichen Grundlage fehlt.
Greift das Grundgesetz damit auf rassistische Terminologie zurück? - Nein, findet Uwe Volkmann, Verfassungsrechtler an der Universität Frankfurt:
Was leistet das Grundgesetz, und welche Rolle spielen wir dabei eigentlich?22.05.2019 | 7:28 min
Diese Distanzierung kommt vielen Befürwortern einer Streichung des Begriffs nicht deutlich genug zum Ausdruck.
Änderungsinitiativen für Grundgesetztext bislang erfolglos
Das Deutsche Institut für Menschenrechte kritisierte zudem schon 2010 in einer Publikation, dass Betroffene, die sich auf das Diskriminierungsverbot berufen möchten, gezwungen seien, sich einer vermeintlichen Rasse zuzuordnen.
Den Alternativvorschlag des Instituts, "Rasse" im Grundgesetz durch "rassistisch" zu ersetzen, griffen Grüne und Linkspartei auf, brachten 2020 Gesetzentwürfe in den Bundestag ein, die aber keine Mehrheit fanden.
Die aktuelle Ampel-Regierung hat sich eine Grundgesetzänderung im Koalitionsvertrag vorgenommen. Von einem konkreten Entwurf ist man aber offenbar noch entfernt. Auf ZDF-Anfrage teilt ein Sprecher des Bundesjustizministers mit, derzeit fänden "Gespräche im politischen Raum" zu dem Vorhaben statt.
Die Menschen weltweit sind im Erbgut zu mehr als 99,99 Prozent gleich. Dennoch sind Rassismus und Vorurteile in Deutschland tief verwurzelt. Warum?07.04.2022 | 44:30 min
Suche nach Alternativbegriffen - eine Frage der Wirkmacht
Es geht um die symbolische Wirkmacht von Sprache, aber auch um konkrete juristische Folgen. Aus dem Bundesjustizministerium heißt es, eine Änderung dürfe das bisherige Schutzniveau des Diskriminierungsverbots nicht einschränken. Eben das hält Rechtswissenschaftler Volkmann für schwierig:
Bislang können Betroffene sich auf das Diskriminierungsverbot des Grundgesetzes berufen, wenn Behörden oder andere staatliche Stellen sie aufgrund tatsächlich oder vermeintlich vererbbarer Merkmale wie Hautfarbe ungleich behandeln.
Verbot von Racial Profiling muss durch Grundgesetz gesichert bleiben
Darunter fällt etwa das so genannte "racial profiling". 2018 gab das Oberverwaltungsgericht Koblenz einem Studenten Recht. Ihn hatte die Bundespolizei auf einer Zugfahrt kontrolliert - allein aufgrund seiner dunklen Hautfarbe, ohne dass er sich durch sein Verhalten verdächtig gemacht hätte. Diese Praxis verstößt gegen das Verbot der Ungleichbehandlung aufgrund von "Rasse", so das Gericht.
Stehe statt "Rasse" künftig im Grundgesetz, dass niemand "aus rassistischen Gründen" ungleich behandelt werden dürfe, sei nicht sichergestellt, dass "racial profiling" davon erfasst werde, bemerkt Rechtswissenschaftler Volkmann:
"Das ist also eine Formulierung, die den aktuellen Schutz nicht gewährleisten kann."
Für Grundgesetzänderung ist Zweidrittelmehrheit erforderlich
Für die Formulierung "aus rassistischen Gründen" haben sich die Länder Sachsen-Anhalt und Brandenburg entschieden und ihre Landesverfassungen geändert.
Ob auf Bundesebene die für eine Grundgesetz-Änderung erforderliche Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat zustande kommt, dürfte auch davon abhängen, welche Alternativformulierung die "Gespräche im politischen Raum" der Bundesregierung hervorbringen, um sicherzustellen, dass das Grundgesetz mit wohlgewählten Worten umsetzt, was es seit 74 Jahren im ersten Absatz des Artikel 3 vorschreibt: "Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich."
Samuel Kirsch ist Autor in der ZDF-Redaktion Recht und Justiz.