Steinmeier repräsentiert ein schwieriges Land, zuhause und in der Welt; vor Pickelhauben und gekrönten Häuptern. Manchmal begegnet er auch aufgeblasenen Vögeln. Steinmeier steht über den Parteien und nah bei den Menschen - ein Bürgerpräsident.
Die Wurzeln nicht vergessen
Wenn ein neuer Bundespräsident einzieht in Schloss Bellevue, macht ihm auch die Bundeswehr ihre Aufwartung. Eine Ehrenkompanie tritt an, der Präsident schreitet sie ab, Protokollroutine. Dann aber wagt Steinmeier etwas Neues, ganz Unerwartetes: Eine fröhliche ältere Dame begrüßt er besonders herzlich - seine Mutter. Steinmeier vergisst nicht, woher er kommt. Auch nicht im höchsten Staatsamt.
Steinmeiers Elternhaus steht in Ostwestfalen. Brakelsiek, 1000 Einwohner, 60 Kilometer bis Bielefeld. Sein Vater Tischler, die Mutter vertrieben aus Schlesien. Sie arbeiten hart und halten sich an die Regeln; die große Welt ist anderswo. Der Junge aber darf aufs Gymnasium, als erster in seiner Familie, er macht Abitur. Keine Selbstverständlichkeit in Brakelsiek.
Schröders Entdeckung, Merkels Herausforderer
Steinmeier studiert Jura; etwas Handfestes. Politisch engagiert er sich bei den Jusos, in Vorstandsämter aber drängt er nicht, entscheidet sich schließlich für eine brave Beamtenlaufbahn. Bis Gerhard Schröder ihn entdeckt. Er macht Steinmeier zu seiner rechten Hand: erst in Hannover, dann in Berlin. Als Chef des Kanzleramtes, Architekt der Agendapolitik. In Merkels erster Großer Koalition übernimmt Steinmeier dann das Außenamt.
Dann fordert er Merkel heraus, Steinmeier kämpft 2009 selbst ums Kanzleramt. Der Vizekanzler aus dem Volk begeistert seine Partei, ein Volkstribun aber ist er nicht; Steinmeier verliert. Vier Jahre müht er sich ab, als Fraktionschef der SPD, Oppositionsführer.
Kunst der Kompromisse
Zu Beginn seiner Amtszeit gilt Steinmeier als Kompromiss, bequem für die Kanzlerin. Kandidat der Großen Koalition, Merkel kennt ihn. Ein Politiker, den - anders als Vorgänger Joachim Gauck - nicht die Aura der Auflehnung gegen die DDR-Diktatur umweht. Steinmeier verteidigt die Demokratie; immer mehr Menschen zweifeln.
Zu diesem Zeitpunkt sitzt die AfD noch nicht im Bundestag, wohl aber in vielen Landtagen. Mit einem zweistelligen Ergebnis bei der Bundestagswahl jedoch, ein halbes Jahr später, rechnet noch niemand.
Die Bewährungsprobe kommt nach der Bundestagswahl. Im November 2017 platzen Jamaica-Träume, Steinmeier wird zum Vermittler. Der Präsident beherrscht die Kunst der Kompromisse, und die Sozialdemokraten vertrauen ihm. Diskret bugsiert er die SPD in eine weitere, ungeliebte Große Koalition - und rettet Merkel so aus einer zerfahrenen Zwangslage.
Sein Thema: Demokratie
Seinem Thema, Demokratie, bleibt er treu. Besucht die wenigen Orte demokratischer Tradition, die Deutschland aufzubieten hat: das Hambacher Schloss etwa, wo mutige Demokraten 1832 einen Aufbruch wagen; die Obrigkeit beendet ihn, schnell und hart. Oder die Frankfurter Paulskirche: 1848 tagt hier das erste deutsche Parlament - und scheitert unrühmlich. Die erste Demokratie auf deutschem Boden aber wagen ein paar Jakobiner in Mainz, 1793, nach französischem Vorbild; an diese Mainzer Republik erinnert Steinmeier 2018; auch sie hielt kaum 100 Tage.
Wie verwundbar Demokratie auch heute sein kann, zeigt sich wenig später. Zwei Mal in kurzer Zeit. Februar 2020: In Hanau ermordet ein schwer bewaffneter Mann innerhalb weniger Minuten neun Menschen, offenbar aus rassistischem Hass. Am Ende tötet er sich selbst.
Vier Monate zuvor: Halle. Ein Rechtsextremist verübt einen Mordanschlag auf die Synagoge der Stadt, ausgerechnet an Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag. Steinmeier besucht den Tatort, spricht mit den Überlebenden – und tritt dann, entsetzt und empört, vor die Kameras.
Nur die schwere Eingangstür hat das Blutbad im Gotteshaus verhindert. Der Bundespräsident macht diese Tür später zum Thema seiner Weihnachtsansprache.
Alles etwas bunter
Steinmeier auf Staatsbesuch, überall auf der Welt: bunter als die nüchternen Arbeitstreffen des Außenministers: wo der Bundespräsident auftritt, erklingt Musik. Er zeigt Flagge: vor prachtvollen Pagoden ebenso wie in Flüchtlingslagern.
Politisch aber muss er sich nun bedeckt halten, Handlungsreisender in Sachen Demokratie jedoch bleibt der Präsident. In Kolumbien etwa, wo er, schon als Außenminister, einen fragilen Frieden vorbereitet hat.
Nach Ecuador reisen der Bundespräsident und die First Lady auf den Spuren des Naturforschers Alexander von Humboldt. Auch ein Abstecher auf die Galápagos-Inseln gehört dazu. Aufgeblasenen Fregattvögeln hier nähert Steinmeier sich unbefangen. Einer Begegnung mit Donald Trump jedoch geht er lieber aus dem Weg.
Verhältnis zu Israel
Reisen nach Israel gehören nach wie vor zu den schwierigsten Missionen eines deutschen Präsidenten, mögen manche Begegnungen, wie beim spontanen Bier mit Israels Präsident Rivlin, auch ungezwungen erscheinen: Lange Schatten ragen hinein in diese Freundschaft.
Das Menschheitsverbrechen der Shoa, millionenfacher Mord an Menschen jüdischen Glaubens; verübt von Deutschen, überall in Europa. Inbegriff des Schreckens: das deutsche Vernichtungslager in Auschwitz.
Zur Gedenkfeier am 75. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz darf in Jerusalem auch Steinmeier sprechen, als erstes deutsches Staatsoberhaupt in der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem.
Freundschaft und Vertrauen
Ein paar Tage später besucht der Bundespräsident den Schauplatz des Terrors: Gedenkstätte Auschwitz unweit von Krakau. Staats- und Regierungschefs aus aller Welt gedenken der Opfer des Völkermords.
Auf dem Rückflug nach Berlin begrüßt Steinmeier an Bord seines Airbus einen Gast: Reuven Rivlin. Israels Präsident, in einem Flugzeug der Luftwaffe auf dem Weg in die deutsche Hauptstadt - eine Geste der Freundschaft und des Vertrauens. Anlässlich der Gedenkfeier des Bundestages spricht Rivlin dann auch vor dem deutschen Parlament.
Verhalten während des Coronavirus
Wenige Tage später kommen aus China erste Berichte über Infektionen mit einem neuartigen, hoch ansteckenden Virus: CoViD19. Kaum einer ahnt, dass damit eine der schwersten Krisen beginnt, die Deutschland und die Welt je erschüttert haben. Das Coronavirus macht Millionen Menschen krank, viele tausend trifft es tödlich.
Politiker wirken überrumpelt, verhängen strenge Kontaktsperren. Lockdown. Ein Land macht dicht. Zu Ostern wendet sich der Bundespräsident im Fernsehen an seine Landsleute.
Viele Bürger aber verlieren das Vertrauen, Tausende demonstrieren gegen die "Corona-Maßnahmen", nennen sich "Querdenker". Radikale, vor allem von rechts, kapern den Protest - und stellen die demokratische Ordnung ganz grundsätzlich in Frage.
Ende August 2020 versuchen einige, in den Reichstag einzudringen. Die Polizei kann den Sturm auf das Parlament gerade noch verhindern, rechtsextreme Blogger aber stellen Bilder der bedrängten Beamten prahlerisch ins Internet.
Der Bundespräsident verurteilt die Angriffe scharf. Berliner Polizisten, die sich der aufgepeitschten Menge tapfer entgegengestellt hatten, empfängt er in Bellevue.
Wichtiger denn je: die richtigen Worte finden
In diesen Tagen neigt Steinmeiers erste Amtszeit sich ihrem Ende entgegen; seinen Wunsch, weiterzumachen, hat der Präsident früh bekundet. In der Bundesversammlung, die alle fünf Jahre zur Präsidentenwahl zusammenkommt, kann er mit einer stabilen Mehrheit rechnen.
Eine zweite Amtzeit scheint deshalb sicher. Die Demokratie aber, Steinmeiers großes Thema, wirkt so verunsichert wie schon lange nicht mehr. Vieles bleibt zu tun.
Auch der Frieden in Europa, der so lange so sicher schien, wirkt brüchig. Zurück ist die Sorge vor einem aggressiven Russland, besonders im Osten Europas.
Unsichere Zeiten. Komplizierter vielleicht, als Steinmeier zu Beginn seiner Amtszeit ahnen mochte. Mehr denn je wird es nun darauf ankommen, dass der Mann in Schloß Bellevue die richtigen Worte findet, Worte vor allem verleihen dem Amt seine Kraft. Ganz besonders in schwierigen Zeiten.