Schnellen Schrittes laufen die Menschen an Harald vorbei. Den Mann, der zu ihren Füßen sitzt und bettelt, nehmen sie kaum wahr. Dabei hätte der Obdachlose mit dem weißen Rauschebart viel zu erzählen. Er macht sich Gedanken über Politik und Gesellschaft. Doch die schaue nur weg, wolle die Armut nicht sehen, sagt er: „Wir zeigen den Menschen, in welche Richtung es gehen kann, wenn sie in der Gesellschaft nicht mehr funktionieren. Und davor haben die Leute Angst.“
Seine Wünsche
Harald will sich nicht ausgrenzen lassen. Er engagiert sich für ein würdevolles Leben auf der Straße. Auch mit wenig Geld könne die Stadt viel bewegen. „Und wenn es nur mit Kleinigkeiten ist wie öffentliches Trinkwasser für alle. Oder Häuser, die seit vielen Jahren leer stehen, zwangsbelegen bis zum Abriss. Es müssten nicht so viele Menschen auf der Straße leben.“
Wie viele genau in Bremen ohne Obdach sind, ist unklar. Ungefähr 500 sollen es sein. Und ihre Zahl steigt. Sie alle müssen sich waschen, brauchen Toiletten und Duschen. Die tägliche Hygiene ist teuer für die Menschen auf der Straße. Harald sammelt bei den anderen Obdachlosen Unterschriften für einen öffentlichen Trinkwasserbrunnen, seine Forderung an die Bremer Sozialsenatorin.
Ohne Hilfe geht es nicht
Ohne Hilfe wären die Menschen auf der Straße aufgeschmissen. Haralds Klamotten sind gespendet. Hinterm Bahnhof verteilen Ehrenamtliche Essen. Dabei geht es bei den Treffen am Dienstagnachmittag nicht nur ums Sattwerden. Sie bringen Struktur in den Tag, eine Möglichkeit sich auszutauschen. „Die Gespräche auf der Straße drehen sich fast nur um Politik, weil Soziales eines der wichtigsten politischen Felder ist, die wir zu bewältigen haben“, sagt Harald. Doch ihm ist auch klar: Zur Wahl werden wohl die wenigsten Obdachlosen gehen. Um einen Wahlschein zu bekommen, müssten sie nachweisen, dass sie sich sechs Monate am Stück in der Stadt aufgehalten haben. Viele scheuen den Weg zum Amt. Fühlen sich von den Parteien ohnehin nicht als politische Zielgruppe beachtet, sind Einzelkämpfer ohne Hoffnung.
Was sie eint, sind Brüche in ihren Biografien, die nie verheilt sind. Harald schweigt über den Grund, warum er sein früheres Leben aufgegeben hat. Gleich neben den Bahngleisen liegt inzwischen sein Lager, eine kleine, strahlend gelb gestrichene Hütte. Der 64Jährige ist froh, im Trockenen schlafen zu können. Wohnen sei das Thema, dass hierzulande am meisten dränge. Seine Forderung ist deutlich. „Günstige für jeden erschwingliche Wohnungen, gerade für Leute, die im Niedrig¬lohnsektor arbeiten. Wenn die ihre Miete, Strom und Wasser bezahlt haben, müssen sie aufs Amt gehen und aufstocken. Das kann es nicht sein. Die Stadt hat eine gewisse soziale Verantwortung und da gehören Wohnungen dazu.“
In der Gesellschaft laufe etwas schief, wenn so viele Menschen auf der Straße leben.
Ein Film von Anne Arend