Armutsrisiko Familie – heute Eltern, morgen arm?

Fakten-Box

• Armut in Deutschland

  

  Es existieren verschiedene Erhebungen zum Thema. Die Prozentzahlen variieren, aber der Befund wird mehrfach bestätigt: Die Armutsquote ist hoch, mit knapp 17% ist jeder Sechste in Deutschland von Armut bedroht (Quelle: Armutsbericht 2018 auf Datenbasis von SOEP). Die Quote ist fast kontinuierlich angestiegen, in den neunziger Jahren lag sie noch um die 11%. Bemerkenswert: Der Anstieg der Armut erfolgt trotz sinkender Arbeitslosenquote und trotz steigender Erwerbstätigenzahlen.
  
  Die Darstellungen im Armutsbericht 2018 folgen dem Konzept der relativen Einkommensarmut. Sie greift bereits bei eingeschränkter Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und nicht erst, wenn erhebliche materielle Entbehrungen vorliegen (Deprivation). Die relative Armut definiert die Armutsrisikoschwelle bei 60 Prozent des mittleren Nettoäquivalenzeinkommens. Des was? Okay, der Reihe nach: mit dem „mittleren“ Einkommen ist nicht das arithmetische Mittel gemeint, also der rechnerische Durchschnitt, sondern der „Median“. Hierbei werden alle Haushaltseinkommen der Höhe nach geordnet und das Einkommen in der Mitte der Liste ist dann der „mittlere“ Wert. Dieser kann vom arithmetischen Mittel erheblich abweichen. Zweitens, das Nettoäquivalenzeinkommen eines Haushaltes ist das nach Zahl und Alter der Haushaltsmitglieder gewichtete Nettoeinkommen.
  
  Das heißt, Armut hat genauso etwas mit der Größe einer Familie zu tun wie mit dem Alter der Kinder. Armut ist aber nicht auf Einkommensarmut beschränkt. Mangel kann vielfältig vorhanden sein, aber auch subjektiv empfunden werden, er umfasst dann neben dem Einkommen auch Facetten wie Bildung, Gesundheit und Wohnen (vergleiche dazu den 5. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung).
  

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• Armut ist überwiegend weiblich und alleinerziehend

  

  Zu den größten Armutsrisiken gehört Arbeitslosigkeit, aber auch mehrere Kinder können eine erhebliche Belastung für das zur Verfügung stehende Haushaltseinkommen bedeuten. Am stärksten von Armut bedroht sind alleinerziehende Frauen, je jünger die Kinder, umso größer das Armutsrisiko. Jüngere Kinder brauchen in der Regel mehr Betreuung als jugendliche Familienmitglieder. Entweder muss die Betreuungszeit selbst erbracht werden, was die Chancen auf Erwerbstätigkeit einschränkt, oder die Betreuungsleistung muss bezahlt werden (Tagesmutter).
  
  Vier von zehn Menschen in einem Alleinerziehenden-Haushalt sind arm (40,2%). Auch kinderreiche Paar-Haushalte mit drei oder mehr Kindern sind überdurchschnittlich von Armut betroffen (30%). Eine Erwerbstätigkeit schützt nicht vor Armut: 33,2% der erwachsenen armen Menschen arbeiten. Jedes fünfte Kind in Deutschland lebt in Armut. (Quelle: Armutsbericht 2018). Arme Menschen können Sozialleistungen beziehen. Knapp zwei Millionen Kinder unter 18 Jahren leben von Hartz IV. Der Kinderschutzbund geht davon aus, dass sogar 4,4 Millionen Kinder anspruchsberechtigt wären, aber viele ihren Anspruch nicht kennen oder sich für die staatliche Hilfe schämen. Armut ist regional unterschiedlich verteilt. Das Armutsrisiko ist in Bayern (11,7%) und in Baden-Württemberg (11,9%) am geringsten, in Bremen trifft es mit 22,7% fast jeden Vierten (Statistisches Bundesamt).

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• Armutsfalle

  

  Ökonomen und Sozialforscher sprechen von der Armutsfalle, wenn Menschen nicht mehr aus der Armut herausfinden. Sie trifft Langzeitarbeitslose, die dauerhaft auf Grundsicherung angewiesen sind, aber auch Erwerbstätige, die entweder in Teilzeit arbeiten oder für Niedriglöhne oder beides gleichzeitig. „Erwerbsarmut von heute ist die Altersarmut von morgen“, warnte die Berliner Sozialsenatorin Elke Breitenbach (LINKE).
  
  Derzeit beziehen rund 560.000 Senioren in Deutschland Grundsicherung, weil die Alterseinkünfte nicht ausreichen. Laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) sind rund 17,5% der über 65-Jährigen armutsgefährdet. Verschiedene Berechnungen lassen einen weiteren Anstieg befürchten. Der Bundesverband Tafel Deutschland berichtet von einem Anstieg der Tafel-Nutzer innerhalb eines Jahres um 10% auf aktuell 1,65 Millionen Menschen. Jeder vierte davon ist im Rentenalter. Ihre Zahl ist im selben Zeitraum um 20% gestiegen.

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• Was ist das Gute-KiTa-Gesetz?

  Das Gute-KiTa-Gesetz oder „Gesetz zur Weiterentwicklung der Qualität und zur Teilhabe in der Kindertagesbetreuung" ist eine finanzielle Förderung des Bundes an die Länder, um die Qualität der Kindertagesbetreuung zu steigern und weiterzuentwickeln. Für die KiTa-Unterstützung sind bis 2022 deutschlandweit etwa 5,5 Milliarden Euro verfügbar. Um die Unterstützung zu erhalten, unterschreiben alle 16 Bundesländer individuell auf ihre Bedürfnisse abgestimmte Verträge mit der Bundesregierung.
  
  Am 20.11.2019 hat Hessen als letztes Bundesland unterzeichnet. Wenn die Bedingungen für eine Förderung durch den Bund erfüllt sind, können die Länder ab 2020 entscheiden, wie sie das Geld in die KiTas investieren. Dafür kann aus zehn möglichen Handlungsfeldern gewählt werden: Elternbeitragsfreiheit schaffen, in die Ausbildung qualifizierter Fachkräfte investieren, KiTa-Leitungen stärken, Räume und Außenflächen gestalten und einiges mehr. Außerdem müssen die Länder jährlich Rechenschaft ablegen, wie sich die Qualität der KiTas entwickelt hat. Kritiker bezweifeln, dass die Mittel ausreichen, um sowohl eine Beitragsfreiheit als auch eine Qualitätssteigerung zu gewährleisten und bemängeln, dass lediglich die Tagesbetreuung, nicht jedoch elterliche Betreuung unterstützt wird.

• Was ist das Starke-Familien-Gesetz?

  

  Das Starke-Familien-Gesetz ist am 1. Juli 2019 in Kraft getreten. Das Gesetz soll Familien und Kinder durch eine Neugestaltung des Kinderzuschlags und der Bildungsleistungen stärken. Das Gesetz tritt stufenweise in Kraft. Zunächst wurde der Kinderzuschlag um 15 Euro auf 185 Euro pro Monat erhöht. Das Gesetz soll auch die Bildungs- und Teilhabe-Chancen von Kindern aus geringverdienenden Familien verbessern. Am 1. August 2019 stieg daher das Schulstarterpaket von 100 auf 150 Euro. Eigenanteile der Eltern für das Mittagessen in Kindertagesstätte und Schule entfallen. Schüler, deren Versetzung gefährdet ist, haben einen Anspruch auf Nachhilfeunterricht. Schulen können darüber hinaus die Kosten für Schulausflüge von leistungsberechtigten Schülern über dieses System abrechnen. Anspruch haben diejenigen, die bereits Kinderzuschlag, Wohngeld, Hartz IV, Sozialgeld, Sozialhilfe sowie Asyl-Leistungen beziehen. Die Leistungen laufen mit dem vollendeten 18. Lebensjahr des Kindes aus. Kritiker bemängeln, dass die Leistung bisher so wenig bekannt und so kompliziert zu beantragen war, dass gerade einmal 30% der Anspruchsberechtigten überhaupt einen Antrag stellten. Familienministerin Giffey rechnet damit, dass die Antragsquote durch Bürokratieabbau auf 35% erhöht werden kann.

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• Was leistet der Sozialstaat?

  

  Jeder zweite Euro aus dem Bundeshaushalt fließt in den Sozialbereich. Allein 100 Milliarden Euro beträgt der Zuschuss des Bundes an die Rentenversicherung. „Und was bekommen Familien?“, fragte der Tagesspiegel Anfang 2019, aus dem wir hier Ausschnitte zitieren:
  
  Sehr lange wusste der Staat nicht, wieviel Geld er genau für Familien ausgibt und wer tatsächlich profitiert. Bei der Vielzahl an Geldleistungen, Realtransfers und Erleichterungen im Steuer- und Sozialversicherungssystem blickten selbst Experten nicht mehr durch. Deshalb gab die frühere Familienministerin von der Leyen 2008, zusammen mit dem Finanzministerium, eine Evaluation aller familienpolitischen Leistungen in Auftrag. Wem nutzen der Kinderfreibetrag und das Elterngeld? Wer profitiert vom Ausbau der Kinderbetreuung? Nach vier Jahren war der rund 400 Seiten starke Bericht fertig. Allein auf der Ebene des Bundes und der Sozialversicherungen wurden mehr als 150 ehe- und familienbezogene Einzelleistungen gezählt – mit einem Gesamtvolumen von mehr als 200 Milliarden Euro jährlich. Allerdings haben die Experten alles, was „irgendwie nach Kind oder Familie" klingt, in den Topf geworfen.
  
  Was aber haben junge Familien von den 38 Milliarden Euro, die in die Witwen- und Witwerrente fließen? Und was hat die beitragsfreie Mitversicherung von Ehepartnern, die nicht erwerbstätig sind und keine Kinder erziehen, mit Familienförderung zu tun? Dasselbe gilt für das Ehegattensplitting, das 20 Milliarden Euro jährlich kostet: Ob in den Ehen, die vom Steuervorteil profitieren, Kinder leben, spielt keine Rolle. Mittlerweile existieren in Deutschland zwei Familienförderungssysteme parallel nebeneinander. Mal fördert der Staat das Alleinverdienermodell, mal eine gleichberechtigte Teilhabe beider Geschlechter an Beruf und Familie. Die Anreize des einen Systems schwächen dabei die Wirkung des anderen. Also erfanden Politiker aller Parteien immer neue Leistungen, um möglichst jeder Familie gerecht zu werden. Mit der Zeit entstand ein finanzielles Wirrwarr, das heute niemand versteht. (Tagesspiegel, 24.02.2019)

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• Was hat die GroKo sonst noch für Familien getan?

  

  Anfang 2019 ist die zeitlich befristete Teilzeit eingeführt worden.
  Die sogenannte Brückenteilzeit ermöglicht Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, ihre Arbeitszeit für ein bis fünf Jahre zu verringern und anschließend in Vollzeit zurückzukehren. Gründe können Kindererziehung oder Pflege von Angehörigen sein. Vor allem Frauen waren vorher nicht mehr aus der „Teilzeitfalle“ herausgekommen mit negativen Folgen für ihre Rentenbemessung.
  
  Langzeitarbeitslosen, die seit mindestens sechs Jahren Hartz IV beziehen, wird der Wiedereinstieg ins Berufsleben gefördert. Fünf Jahre lang erhalten Arbeitgeber Geld vom Staat: In den ersten beiden Jahren werden die Lohnkosten voll übernommen, danach sinkt der Zuschuss für die Arbeitgeber jedes Jahr um zehn Prozent.
  
  Eine der teuersten Maßnahmen dieser Bundesregierung ist das Baukindergeld. Diese Unterstützung für das eigene Haus oder die eigene Wohnung läuft bis Ende 2020. Der staatliche Zuschuss liegt bei 1.200 Euro je Kind und pro Jahr, für einen Zeitraum von insgesamt zehn Jahren.
  
  Das Bundeskabinett hat am 13.11.2019 die Einrichtung eines Sondervermögens in Höhe von zwei Milliarden Euro beschlossen, um die Ganztagsbetreuung für Grundschüler zu fördern. Der Rechtsanspruch ist für 2025 geplant. Für den Ausbau der Betreuungsangebote sind die Länder zuständig.
  
  Auch wenn es so klingen mag, die Ausweitung der Mütterrente zum 1. März 2019 ist keine familienpolitische Leistung. Bezugsberechtigt sind Frauen mit Erziehungszeiten für vor 1992 geborene Kinder. Es darf davon ausgegangen werden, dass diese Kinder mit ihren Müttern heute nicht mehr als Familie zusammenleben. Die meisten bezugsberechtigten Frauen sind Rentnerinnen.

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