Seit 2018 erhielten mindestens 27 außertariflich bezahlte Führungskräfte beim rbb jedes Jahr sogenannte „variable leistungsbezogene Gehaltsanteile“ in Höhen von 10 bis 25 Prozent der Grundvergütung. Dieses Bonus-System gibt es auch nur beim rbb, ergab eine Anfrage von frontal bei allen ARD-Anstalten.
Nachdem in dieser Woche der Druck auf den in Berlin ansässigen Sender immer stärker wurde, hat dessen Geschäftsleitung konkrete Prämien-Zahlungen offengelegt. Demnach erhielt beispielsweise der rbb-Verwaltungsdirektor Hagen Brandstäter, jetzt geschäftsführender Intendant, zuletzt 230.000 Euro an Grundvergütung plus einem Bonus von 30.738 Euro. Die Prämien für die inzwischen vom Rundfunkrat abberufene Intendantin Patricia Schlesinger hat der rbb mit Verweis auf das strafrechtliche Ermittlungsverfahren wegen Verdachts auf Untreue und Vorteilsannahme gegen die Ex-Intendantin bisher nicht veröffentlicht. Schlesingers Grundvergütung betrug zuletzt 303.000 Euro.
Unternehmensberatung hatte Bonus-System vorgeschlagen
Das Prämien-System hatte die Unternehmensberatung Kienbaum Ende 2017 im Auftrag des rbb ausgearbeitet. Die rbb-Führungsetage kassierte dann vier Jahre lang Boni, ehe die anderen ARD-Rundfunkanstalten davon erfuhren. Auf Anfrage teilte die ARD-Pressestelle mit: „Die Personalchefin des rbb hat im April 2022 auf einer Fachkonferenz, der Personalleiterkonferenz der ARD, das rbb-Modell der variablen Gehaltsanteile vorgestellt, das daraufhin deutlich kritisch diskutiert wurde.“ Den IntendantInnen sei das das Modell nicht vorgestellt worden.
Tom Buhrow hatte am Dienstag, 16. August 2022, auf einer WDR-Veranstaltung gesagt, dass er und viele andere in der ARD “enttäuscht und wütend” seien. Die ARD legt allerdings Wert auf die Feststellung: „Die einzelnen Landesrundfunkanstalten handeln autonom.“
Verwaltungswissenschaftler Koch: „Führungsversagen in ARD“
Diese Antwort zeige „das ganze Führungsversagen der ARD“, kritisiert Professor Christian Koch von der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer:
Es sei „selbstverständliche Dienstpflicht, sich um solch brisante Entwicklungen zu kümmern“, argumentiert Verwaltungswissenschaftler Koch. „Die können nicht einfach bei Seite geschoben werden.“
Koch fordert nun eine Untersuchung der Gehaltsstrukturen aller ARD-Anstalten. Dabei verweist er auf Tochtergesellschaften und Unternehmensbeteiligungen der ARD-Sender. Als Beispiel nennt Koch die 100-prozentige rbb-Tochter „rbb media GmbH“, in der rbb-Intendant Hagen Brandstäter stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender ist. „Auch hier müssen mögliche Bonus-Zahlungen überprüft werden.“ Außerdem müsse überprüft werden, ob die wirtschaftliche Tätigkeit der Tochterfirmen mit dem Programmauftrag und dem Rundfunkstaatsvertrag vereinbar ist, so Koch. Auch das ZDF ist Gesellschafter von Tochterfirmen.
Wut in der rbb-Belegschaft
Unterdessen steigt die Wut bei den Beschäftigten des rbb über die geheimen Bonus-Zahlungen an die Top-Verdiener im Sender. „Wir sind alle entsetzt. Die Stimmung unter den Kollegen ist sehr aufgeheizt“, sagte die Personalratsvorsitzende Sabine Sauer und stellte auf Anfrage klar:
Sauer ist Mitglied des rbb-Verwaltungsrates. Sie sei niemals über die Boni informiert worden. Die Bonus-Zahlungen an die Top-Etage beim rbb sei vor allem mit der Zielvorgabe „Rationalisierung“ verbunden gewesen. Dadurch sei der Qualitätsjournalismus in Gefahr. Das bringe die Belegschaft besonders in Rage, sagt Christoph Hölscher, Sprecher der Freien Mitarbeiter im rbb, der den Verlust der sozialen Gerechtigkeit im rbb beklagt:
Freien-Sprecherin Dagmar Bednarek fügt hinzu: „Wir Freien sind maximal sauer und ich glaube auch nicht mehr an die vielzitierte Transparenz, die die rbb-Geschäftsleitung verspricht.“
Die große Aufregung über die Leistungsprämien für die rbb-Führungsriege sei aus wissenschaftlicher Sicht erklärbar, betont Professorin Gesine Stephan, Forscherin am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung und an der Universität Erlangen-Nürnberg: „Die kritische Diskussion um die Bonus-Zahlungen beim rbb ist nachvollziehbar. Denn unsere Forschung hat gezeigt, dass die Akzeptanz von Bonus-Zahlungen auch von Kriterien wie Branchenüblichkeit und Transparenz abhängt. Besonders kritisch wirkt es, wenn Bonus-Zahlungen im Zusammenhang mit Rationalisierungsmaßnahmen und Personalabbau erfolgen.“
Qualitätsjournalismus in Gefahr
Jo Goll, Mitglied des rbb-Rechercheteams, das senderintern mit der journalistischen Aufklärung beauftragt ist, kommentierte die Boni so: „Aus meiner Sicht ist das neoliberaler Mist, der in einer öffentlich-rechtlichen Anstalt nichts zu suchen hat. Das muss sofort weg.“ Auch Verwaltungswissenschaftler Koch ist überzeugt, in einem öffentlich-rechtlichen Rundfunksender dürfe es für Intendanten und Führungskräfte gar keine Bonuszahlungen geben. Das sei mit dem Programmauftrag nicht vereinbar“, so Koch.
Kritiker der umstrittenen Bonuszahlungen beim rbb weisen auf die schlechte Bilanz des Senders hin: So ist der rbb 2021 bei den Einschaltquoten mit 6,3 Prozent Marktanteil im Dritten Programm Schlusslicht aller ARD-Anstalten, ein Minus von 0,1 Prozent zum Vorjahr. Hinzu kommen wirtschaftliche Verluste: Bei Einnahmen von 493,8 Millionen weist der rbb im Wirtschaftsplan 2022 ein Defizit von 73,6 Millionen Euro und ein operatives Minus von 41,8 Millionen Euro aus. Der unter Druck geratene Interims-Intendant Hagen Brandstäter, der sich bereits mit Rücktrittsforderungen konfrontiert sieht, kündigte an, dass das rbb-Bonus-System jetzt in Frage steht.