Nach Recherchen von Frontal 21 fehlen bundesweit 1.948 Richter und Staatsanwälte. Eine Datenerhebung bei allen Justizbehörden der Bundesländer hat ergeben, dass die Mehrzahl der Länder weit hinter den eigenen Zielvorgaben zurückbleibt. So fehlen in Nordrhein-Westfalen 445, in Hessen 344 und in Baden-Württemberg 220 Juristen. Lediglich Sachsen und Thüringen erfüllen ihr Soll.
Für Jens Gnisa, Vorsitzender des Deutschen Richterbundes, ist die mangelnde Ausstattung einer der Gründe, warum die Justiz "erhebliche Probleme" habe, "ihrem Auftrag gerecht zu werden". "Hier muss Politik handeln", fordert Gnisa. "Wir brauchen eine vernünftige Personal- und Sachmittelausstattung." Der Deutsche Richterbund beklagt seit Jahren den Personalmangel in der Justiz. Die Folge sind Aktenberge, überlange Verfahren und verschleppte Prozesse.
Verschleppte Prozesse
Insbesondere für Opfer von sexueller Gewalt sind diese schwebenden Verfahren eine enorme psychische Belastung. So wartet zum Beispiel eine junge Frau, die als Kind sexuell missbraucht wurde, seit mehr als sieben Jahren darauf, dass ihr Peiniger vom Amtsgericht Cottbus verurteilt wird. Der Prozess wird seit Jahren verschleppt.
Die Personaldecke ist an vielen Gerichten so dünn, dass krankheitsbedingte Ausfälle nicht aufgefangen werden können - so auch am Landgericht Cottbus, wo sich die Aktenberge stapeln. "Kaputt gespart zu werden ist auch ein Ausdruck mangelnder Wertschätzung für das System im Ganzen", klagt Ramona Pisal, Präsidentin des Landgerichts Cottbus. "Daraus spricht schon eine gewisse Missachtung der Justiz und der Gerichtsbarkeit." Sie fordert von der Politik endlich gegenzusteuern. Andernfalls müssten die Bürgerinnen und Bürger Verfahrenslaufzeiten hinnehmen, die nicht akzeptabel seien. "Dann geht es an die Fundamente des Rechtsstaates", warnt die Richterin.
"Strafrabatte" bei überlangen Verfahren
Überlange Verfahren führen dazu, dass Gerichte Angeklagten bei einer Verurteilung einen "Strafrabatt" einräumen. Laut Richterbund gibt es den Rabatt wegen "rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerungen" in 30 Prozent aller Wirtschaftsstrafverfahren. Im Durchschnitt liege der Straferlass bei vier Monaten. "So etwas sollte es in einem konsequenten Rechtsstaat nicht geben", kritisiert Gnisa.
Einige Bundesländer haben inzwischen den Nachholbedarf erkannt. So will Nordrhein-Westfalen in diesem Jahr 194 neue Richter und Staatsanwälte einstellen. Das hessische Justizministerium will in den Jahren 2018 und 2019 Jahren 68 neue Stellen für Richter schaffen.
Bundesländer | Personalbedarf für 2017* | Personalbestand zum 31.12.2017 | Differenz (gerundet) |
---|---|---|---|
Nordrhein-Westfalen | 6531,79 | 6086,71 | -455 |
Hessen | 2301,62 | 1957,58 | -344 |
Bayern | 3528,94 | 3230,38 | -299 |
Baden-Württemberg | 2818,65 | 2598,39 | -220 |
Niedersachsen | 2660,47 | 2440,00 | -220 |
Berlin | 1723,21 | 1606,35 | -117 |
Rheinland-Pfalz | 1253,09 | 1158,85 | -94 |
Schleswig-Holstein | 921,83 | 842,64 | -79 |
Bremen | 278,18 | 245,66 | -33 |
Brandenburg | 985,70 | 954,86 | -31 |
Saarland | 334,15 | 309,33 | -25 |
Hamburg | 945,00 | 925,30 | -20 |
Sachsen-Anhalt | 727,66 | 714,10 | -14 |
Mecklenburg-Vorpommern | 584,64 | 577,64 | -7 |
Sachsen | 1388,00 | 1402,00 | 14 |
Thüringen | 752,27 | 753,84 | 2 |
Summe | 27735,20 | 25803,63 |
* Berechnungen aufgrund der Geschäftszahlen 2016 gemäß Personalbedarfsberechnungssystem Pebb§y