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"Ich habe ihn nicht angefasst"

Angeklagter im Chemnitz-Prozess

Gedenkort in Chemnitz nach der Tötung eines Deutschen.
von Arndt Ginzel und Ulrich Stoll

Wenige Tage vor dem möglichen Urteil im Prozess zum Tod von Daniel Hillig konnte Frontal21 mit dem Beschuldigten Alaa S. ein Telefoninterview führen. Der 23-jährige Syrer sitzt seit einem Jahr in der JVA Waldheim in Untersuchungshaft.

Datum:
20.08.2019
Verfügbarkeit:
Video leider nicht mehr verfügbar

Der 23-jährige Syrer bestreitet in dem Gespräch, Daniel Hillig in der Nacht zum 26. August 2018 in Chemnitz erstochen zu haben. Er sei aus einem Döner-Imbiss hinausgelaufen, weil er Rufe gehört habe. "Ohne hinter mich zu gucken, bin ich einfach so mit denen abgehauen, und dann kommt die Polizei und fasst nur uns beide", berichtet Alaa S. gegenüber Frontal21. Der gemeinsam mit Alaa S. festgenommene Yousif A. wurde wenig später aus Mangel an Beweisen wieder freigelassen. Ein weiterer Tatverdächtiger, Farhad A., ist flüchtig und untergetaucht. Alaa S. beteuert, an der Tötung Daniel Hilligs nicht beteiligt gewesen zu sein: "Ich schwöre bei meiner Mutter, ich habe ihn nicht angefasst. Ich habe überhaupt nicht das Messer angefasst." Alaa S. hat bisher im Prozess zu den Vorwürfen geschwiegen.

Alaa S. sagt im Gespräch mit Frontal21, dass er nach einem Jahr Untersuchungshaft kaum noch an ein faires Urteil glaube. "Ich habe Angst vor jedem hier, ich habe Angst vor den Mitgefangenen, ich habe Angst vor den Beamten. Ich habe sogar Angst vor dem Gericht." Tatsächlich lastet auf den Prozessbeteiligten ein großer Druck. So hatte die Bürgermeisterin von Chemnitz, Barbara Ludwig (SPD), gesagt, sie hoffe auf eine Verurteilung, "damit die Angehörigen Ruhe finde können".

Staatsanwaltschaft fordert hohe Freiheitsstrafe

Der Tod von Daniel Hillig hatte Chemnitz international in die Schlagzeilen gebracht, weil bei Demonstrationen und sogenannten Trauermärschen Rechtsextreme Hitlergrüße zeigten, die Polizei und Gegendemonstranten angegriffen. Alaa S. hofft, dass das Gericht sich davon nicht leiten lässt: "Wir sind nicht in Syrien oder in Afghanistan oder im Irak. Ich bin in Deutschland, in einem demokratischen Land." Die Wahrheitsfindung müsse an erster Stelle stehen.

Gestern hatte die Staatsanwaltschaft eine hohe Freiheitsstrafe für den Angeklagten gefordert. In seinem Plädoyer beantragte Anklagevertreter Stephan Butzkies eine Gesamthaftstrafe wegen Totschlags und gefährlicher Körperverletzung von zehn Jahren. Die Höchststrafe bei Totschlag beträgt 15 Jahre. Die Staatsanwaltschaft stützt sich im Wesentlichen auf die Aussagen eines ehemaligen Angestellten eines Döner-Ladens. Der hatte zunächst berichtet, dass er den Angeklagten aus einem Fenster des Imbisses am Tatort gesehen habe, wie er mit schlagenden oder stechenden Bewegungen auf das Opfer eingewirkt habe. Bei späteren Vernehmungen und auch vor Gericht wurden seine Aussagen zunehmend unpräziser.

Zweifel bei Prozessbeobachtern

Im Laufe des Prozesses wurde klar, dass die Polizei keinerlei Spuren von Alaa S. an der Tatwaffe finden konnte. Es fehlen auch DNA-Spuren des Täters am Opfer. Für einige Prozessbeobachter bestehen Zweifel, ob mit Alaa S. der Richtige auf der Anklagebank sitzt.

Alaa S. sagt, ihn habe die Konfrontation mit der Mutter und der Schwester des Getöteten im Gerichtssaal besonders belastet. "Danach konnte ich nicht mehr schlafen. Der den Sohn getötet hat, dem wünsche ich lebenslang. Ich schwöre auf Allah, ich habe damit nichts zu tun", sagt Alaa S. im Telefoninterview und fügt hinzu, er könne die Trauer der Mutter nachvollziehen, da er eine Schwester verloren und die Gefühle seiner Mutter erlebt habe. "Seit einem Jahr warte ich nur auf die Wahrheit", so Alaa S. gegenüber Frontal21. Am Donnerstag will die Schwurgerichtskammer des Landgerichts Chemnitz das Urteil sprechen - in einem Fall, der Chemnitz aufgewühlt und dessen Folgen Deutschland aufgeschreckt haben.

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