Die im türkischen Incirlik stationierten Bundeswehrsoldaten werden aus der Türkei abgezogen und nach Jordanien verlegt. Welche Gründe und Folgen das hat - alle Infos im #ZDFcheck17.
Was macht die Bundeswehr in Incirlik?
Incirlik ist ein Militärstützpunkt im Süden der Türkei, nahe der Großstadt Adana. Eigentümer des Stützpunktes ist die Türkei, Hauptnutzer die US Air Force. Die Bundeswehr ist hier seit Januar 2016 stationiert. Der Auftrag der deutschen Soldaten: Als Koalitionspartner der internationalen „Operation Inherent Resolve“ kämpft die Bundeswehr gegen die Terrormiliz IS - unter anderem an der Seite der USA, Großbritannien, Frankreich, Niederlande, Schweden, Dänemark, der Türkei, Jordanien oder Marokko. Die Koalition umfasst mittlerweile über 60 Länder. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hatte bereits im November 2015 mit der Resolution 2249 um Unterstützung im Kampf gegen den IS gebeten.
In Incirlik sind derzeit rund 260 deutsche Soldaten stationiert. Von hier aus starten sie mit bis zu sechs Tornado-Jets zu Aufklärungsflügen. Außerdem ist ein Tankflugzeug im Einsatz, welches Flugzeuge noch in der Luft betanken kann. Für die Deutschen ist Incirlik ein strategisch guter Standort: Die syrische Grenze ist nur etwa 100 Kilometer entfernt. Auch der Irak ist von hier aus gut für die deutschen „Tornado“-Aufklärungsjets zu erreichen.
Wohin gehen die Aufklärungsflüge der Bundeswehr?
Zwar beteiligen sich die deutschen Soldaten nicht direkt an den Kämpfen. Aber sie versorgen die Alliierten unter anderem mit Daten und militärischen Informationen aus den Aufklärungsflügen. Außerdem leisten sie logistische und sanitätsdienstliche Unterstützung oder begleiten Flugzeugträger, um diese zu schützen. Incirlik ist allerdings kein ausgewiesener NATO-Stützpunkt. Daher entscheidet allein die Türkei, wer die Air Base besuchen darf.
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Welche Alternativen gibt es zu Incirlik?
Incirlik ist nicht der einzige Einsatzort deutscher Soldaten in der Türkei. Rund zwei Dutzend Bundeswehrsoldaten sind in Konya stationiert und beteiligen sich von hier aus an den Nato-Aufklärungsflügen mit „Awacs“-Maschinen.
Konya liegt etwa 300 Kilometer nordwestlich von Incirlik. Es ist ein türkischer Stützpunkt, der von der NATO als Operationsbasis für die AWACS-Mission genutzt wird. Deshalb gilt das Besuchsverbot für Bundestagsabgeordnete hier nicht und die hier stationierten Soldaten sollen auch nicht verlegt werden.
Die Soldaten aus Incirlik ebenfalls nach Konya zu verlegen sei allerdings technisch nicht möglich, sagte Verteidigungsministerin von der Leyen Anfang Juni im ZDF-Morgenmagazin.
Welche Alternativen gibt es also? Aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linkspartei geht hervor, dass es grundsätzlich acht mögliche Standorte in der Region gäbe, die sich aus militärischer Sicht anböten: drei liegen in Jordanien (Al Azraq Air Base, Al Jaffr Air Base, Prinz Hassan Air Base), drei in Kuwait (Ahmed Al Jaber Air Base, Ali Al Salem Air Base, Kuwait International Air Base) und zwei auf Zypern (Akrotiri Air Base, Paphos Air Base).
Alternative Standorte
Das Verteidigungsministerium hat den Stützpunkt Al-Azraq in Jordanien vorgeschlagen. Die geografische Lage ist dabei eines der Hauptkriterien. Die Standorte in Kuwait sind trotz guter Ausstattung zu weit entfernt vom Einsatzgebiet rund um die syrische Stadt Rakka. Und "von den Flugrouten her ist Jordanien günstiger als Zypern", bestätigt auch SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold.
Weitere Voraussetzung: Auf dem Stützpunkt muss es ausreichend Platz für die deutschen Flugzeuge und die richtige Infrastruktur geben. Das ist in Jordanien, wo bereits Flugzeuge anderer westlicher Partner stationiert sind, offenbar der Fall. Die gute Zusammenarbeit mit westlichen Streitkräften und die engen politischen Kontakte zum Königshaus geben der Bundesregierung darüber hinaus die Sicherheit, die Soldaten dort auch besuchen zu können.
Muss das Parlament über einen Umzug abstimmen?
Grundsätzlich muss das deutsche Parlament über jeden bewaffneten Einsatz der Bundeswehr entscheiden. Denn die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Die Abgeordneten des Bundestages müssen die deutschen Soldaten auch jederzeit besuchen können.
Den Bundeswehreinsatz gegen die Terrororganisation IS hat die Bundesregierung Ende 2015 zur Abstimmung in den Bundestag eingebracht - auch die Verlängerung des Einsatzes bis 31. Dezember 2017 wurde vom Bundestag beschlossen. Eine erneute Abstimmung im Parlament über den Umzug nach Jordanien ist rechtlich gesehen nicht notwendig. Denn der Ort der Stationierung - Incirlik - ist im Beschluss nicht ausdrücklich festgeschrieben. Aus politischen Gründen wird der Bundestag aber eingebunden - allein um die Argumentation, dass die Bundeswehr eine Parlamentsarmee ist, nicht ad absurdum zu führen.
Die Abstimmung dürfte dabei nur eine Formsache sein: Alle Fraktionen sind für den Abzug der deutschen Soldaten aus Incirlik. Die Linke verlangt sogar, den Einsatz im Kampf gegen den IS komplett abzubrechen.
Wie aufwändig und teuer ist der Umzug?
Der Umzug soll laut Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) im Juli beginnen und bis Oktober abgeschlossen sein. Das Tankflugzeug soll bereits nach ein paar Tagen wieder im Einsatz sein. Zwei bis drei Monate hingegen dauert es, das Herzstück des Einsatzes nach Jordanien zu schaffen. Dabei handelt es sich um die Bodenstation, in der die Bilder der "Tornado"-Aufklärungsflugzeuge ausgewertet werden.
Wieviel der Umzug nach Jordanien kosten wird, ist nach Angaben des Ministeriums nicht abzuschätzen. Finanziell werde der Vorgang weniger aufwendig werden als von manchem befürchtet, so die Ministerin. Grund sei, dass der entscheidende Vertrag mit der Türkei über deutsche Investitionen in Incirlik noch nicht abgeschlossen wurde. Ursprünglich geplante Investitionen von 30 Millionen Euro seien noch nicht angelaufen. Nun werde eben in Jordanien investiert.
Reaktionen aus der Türkei
Der mögliche Abzug der Deutschen aus Incirlik war in türkischen Medien auf den Titelseiten und auch in nahezu allen TV-Nachrichtensendungen ein großes Thema. „Erneute Spannungen“ berichtete der Sender FoxTV. Die türkische Tageszeitung Yeni Safak schrieb: “Gabriel kehrt mit leeren Händen zurück” und Milliyet titelt: “Kein Zugang zu Incirlik”. Die meisten Zeitungen zitierten am 6. Juni den türkischen Ministerpräsident Binali Yildirim, der laut Nachrichtenagentur Anadolu sagte: „Es gibt keine Entscheidung, die von unserer Seite aus getroffen wurde. Sollen sie machen, wie sie wollen.“ Ähnlich gelassen hatte zuvor auch schon Präsident Erdogan reagiert. Ein Abzug sei „für uns kein großes Problem“, sagte er. „Wenn sie gehen, dann sagen wir eben auf Wiedersehen. Nichts weiter.“
Mit Material von afp, Auswärtiges Amt, BBC, Bundestag, Bundeswehr, dpa, NATO, reuters