Genüsslich stecken die Kühe ihre Schnauzen in das frische Heu. Es ist ein heißer Tag. Einer ihrer Letzten am Stadtrand von Budapest. Im Stall steht die Luft. Die Tierärztin Doina Manghui hört ein Holstein-Rind mit dem Stethoskop ab. Liebevoll streicht sie dem Tier danach über den Hals. „Wir untersuchen die Kühe das letzte Mal, die wir morgen exportieren. Um sicherzugehen, dass sie gesund sind und in bestem Zustand zum Kunden gehen. Diese hier werden dem Kunden in bester Verfassung übergeben“, sagt sie.
Der außergewöhnliche Kunde: Der Wüstenstaat Katar. Seit neun Wochen ist das Land isoliert. Alle Handelsbeziehungen mit den benachbarten Golfstaaten Saudi-Arabien, Bahrain, den Vereinigten Arabischen Emiraten, sowie Ägypten sind gekappt. Doch Katar weiß sich zu helfen: Die größte Kuh-Luftbrücke der Welt soll den Grundstein zur Unabhängigkeit in der Milchproduktion legen. Vor vier Wochen sind die ersten Kühe per Flugzeug in dem Wüstenstaat gelandet. Es sollen tausende folgen. Denn: Die Nachfrage ist groß.
Vollklimatisierte Luxus-Ställe
Vor der Krise gab es in Katar wenig Interesse an der Landwirtschaft. Importiert wurde vor allem aus dem benachbarten Saudi-Arabien. Durch die Blockade dann die Kehrtwende: Großzügig wird in den Aufbau von Betrieben investiert, um unabhängig Milch produzieren zu können. Innerhalb weniger Wochen stehen die ersten vollklimatisierten Hightech-Ställe. Sie gehören zu den modernsten der Welt, meint Ramis Al Chajat, Inhaber der katarischen Farm. Die Klimaanlage sorgt für 25 Grad, Ventilatoren verströmen eine leichte Brise in den Hallen. „Den Tieren wird es bei uns besser gehen als in Europa“, so seine Analyse.
Das Emirat hat großes vor: 25.000 Rinder sollen in den nächsten zehn Monaten eingeflogen werden. Dafür sollen in den kommenden Wochen 30 dieser Luxus-Ställe entstehen. Jeder fasst 800 Tiere. Erklärtes Ziel: Autonomie. „Die Blockade ist für mich als Geschäftsmann, aber auch für Katar als Land ein großer Vorteil und eine Chance auf Selbstständigkeit, die man sich auf keinen Fall entgehen lassen sollte. Es wird unser Land stärken“, meint Ramis Al Chajat euphorisch.
Die Krise als Chance
Die neuen Wege, die der Wüstenstaat einschlägt kommen bei der eigenen Bevölkerung gut an: Viele sind beflügelt von einer patriotischen Aufbruchsstimmung. Manch einer sieht das Emirat gar als künftige Exportnation: „Katar ist schon jetzt nicht mehr dasselbe Land wie vor der Blockade. Unsere Industrie wird aufblühen. Die Kuh-Nummer ist nur der Anfang. Ein kleiner Teil des Puzzle“, prophezeit Yousef Al-Jaida, Geschäftsführer des Qatar Financial Center. Um ausreichend Ressourcen müsse man sich nicht sorgen.
Doch viel wichtiger als der wirtschaftliche Erfolg des Kuh-Imports ist das Signal, das Katar an die eigene Bevölkerung, die Nachbarstaaten und den Rest der Welt senden will: Es ist ein Signal der Stärke. Keine Blockade oder Isolation in unumgänglich. Man muss nur die richtigen Wege und Mittel dazu finden. Für den Moment scheint es, als hätte Katar diese mit deutschen Kühen gefunden.
Von Maximilian Moesch