Auto an Auto, Reihe an Reihe. Auf den ersten Blick scheint im Hafen von Baltimore alles normal: Hunderte Autos der Marke VW stehen sorgsam nebeneinander aufgereiht. Doch der Schein trügt, denn sie warten weder darauf verschifft, noch von ihren neuen Besitzern in Empfang genommen zu werden. Vielmehr handelt es sich um den teuersten Schrottplatz der Welt. Denn: Die Autos stehen nicht vor ihrer ersten großen Fahrt, sondern haben diese schon hinter sich. Sie wurden im Zuge des Diesel-Skandals von VW zurückgekauft.
„Made in Germany“: Der Niedergang einer Marke
Der Abgas-Skandal hat dem Ansehen deutscher Autobauer in der Welt geschadet: Nach Ermittlungen musste Volkswagen im Jahr 2015 einräumen, mit Hilfe von versteckter Software die Abgaswerte an seinen Automodellen manipuliert zu haben, um die Abgasnormen der USA zu umgehen. Auch in Deutschland sowie mehreren europäischen Staaten laufen deswegen Verfahren gegen den Konzern. In den USA gilt als Folge der Abgas-Affäre ein Verkaufsstopp für Diesel.
Im März hat VW in den USA ein umfassendes Geständnis abgegeben. Als Gegenleistung bot die US-amerikanische Staatsanwaltschaft einen Vergleich an, der unter anderem die verminderte Strafzahlung von 2,8 Milliarden Dollar beinhaltet. Außerdem unterwirft sich das Unternehmen für drei Jahre einem externen Aufseher und verpflichtet sich zur sofortigen Einrichtung stärkerer Kontrollsysteme. Zusätzlich muss der Volkswagen-Konzern 1,5 Milliarden Dollar an zivilen Bußgeldern bezahlen. Ohne die Abmachung hätte VW eine weitaus höhere Strafe gedroht. Der Abgas-Skandal hat den deutschen Autobauer in den USA also bereits einen zweistelligen Milliardenbetrag gekostet. Der Rückruf und die Nachbesserung von betroffenen VW-Modellen bei US-Kunden schlagen alleine mit 11,2 Milliarden Dollar zu Buche.
Totalschaden für das Vertrauen in die Industrie
Als wäre das alles nicht genug haben sich VW, Audi, Porsche, BMW und Daimler laut "Spiegel"-Recherche in geheimen Arbeitskreisen abgesprochen. Sie sollen sich seit Mitte der Neunziger Jahre über technische Feinheiten, Kosten für Einzelteile und die Auswahl von Lieferanten verständigt haben. Bisher weigern sich alle betroffenen Konzerne, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Rechtlich stellt sich die Lage wie folgt dar: Jede Absprache unter Produzenten ist im Grundsatz verboten. Es sei denn, sie dient dem technischen Fortschritt und auch den Verbrauchern. Absprachen, den Fortschritt aufzuhalten, sind illegal.
Noch steht die Kartelluntersuchung am Anfang und es ist nicht bewiesen, ob und falls ja, wie genau die Autohersteller ihre Kunden getäuscht oder betrogen haben. Für das Vertrauen in die Industrie kommt allein der Verdacht einem Totalschaden nahe. Falls sich der Verdacht bewahrheiten sollte, würden mögliche Kartellstrafen heftig ausfallen: Die finanzielle Strafe richtet sich nämlich nach den Umsätzen der Übeltäter. Die sind im Fall der Autohersteller immens, ein paar Milliarden Euro Strafe können da durch Sammelklagen der getäuschten Konsumenten schnell zusammen kommen.
Deutsche Kernindustrie: Bald überholt von Amerikanischen Tech-Giganten?
Das alles trifft die Branche in einem heiklen Moment: Der historische Umbruch steht ihr erst bevor, wenn der Elektromotor den Verbrenner ablöst. Neue Kompetenzen sind gefragt, die Wertschöpfung verlagert sich und niemand kann garantieren, dass die alten Helden weiterhin den Ton vorgeben. Die potentiellen Angreifer warten bereits: Amerikanische Tech-Giganten wie Tesla, der Pionier in Sachen Elektromobilität aus dem Silicon Valley. So steht fest: Bleiben die deutschen Luxuskarossen im Zeitalter der Elektromobilität auf der Strecke, so wie die Diesel-Fahrzeuge im Hafen von Baltimore, dann wäre der Schaden enorm.