Kampf gegen organisierte Kriminalität
Die Bewegung Addiopizzo im sizilianischen Palermo unterstützt Geschäftsleute, die kein Schutzgeld an die Mafia mehr zahlen wollen.
An der Ladentür klebt ein kleines Emblem, auf dem "Addiopizzo" steht, "Adieu Schutzgeld". Es ist der Name einer Bewegung, die vor zehn Jahren entstand. Eines Morgens hingen in Palermos Altstadt an Laternenpfosten, Haustüren und Schaufenstern ein paar Hundert gedruckte Zettel. Sie ähnelten einer Todesanzeige. "Ein ganzes Volk, das Schutzgeld zahlt, verliert seine Würde", stand darauf. Wenig später folgte eine zweite Aktion, immerhin schon mit mehreren tausend Zetteln, ebenfalls anonym. Heute wissen die Palermitaner, dass dahinter ein paar Studenten und Globalisierungsgegner standen, die einen Pub eröffnen wollten - und sich prompt mit den Schutzgeld-Forderungen der sizilianischen Mafia konfrontiert sahen. Aus dem Pub wurde nichts. Stattdessen entstand die Bewegung Addiopizzo, zu der heute mehr als 250 Bars, Restaurants, Läden und Hotels gehören. Die Namen der Mitglieder sind bekannt, jeder kann sie auf der Website einsehen.
Der Wendepunkt
Die Mafia hat ihre Wurzeln im Sizilien des 19. Jahrhunderts. Sechs Milliarden Euro nimmt sie in Italien jährlich an Schutzgeldern ein. Die drei Mafiaorganisationen, die“ Cosa Nostra“ auf Sizilien, die „'Ndrangheta“ in Kalabrien und die „Camorra“ rund um Neapel erwirtschaften mit Prostitution, Drogenhandel und Geldwäsche einen Jahresumsatz von 90 Milliarden Euro. Erfolge im Kampf gegen die Mafia gab es ab 1984 durch die Festnahme des hochrangigen „Cosa Nostra“-Mitglieds Tommaso Buscetta. Seine Aussagen führten zu weiteren Verhaftungen und Mammutprozessen. Wichtigste Ermittler damals waren der Jurist Giovanni Falcone und der Richter Paolo Borsellino. Beide wurden 1992 ermordet. Die Attentate markierten einen Wendepunkt: Statt vor Angst gelähmt zu sein, leistet die Bevölkerung Widerstand.
Schutz durch Öffentlichkeit
"Heute sind wir so weit, dass uns Öffentlichkeit schützt", sagt Enrico Colajanni, Sprecher von Addiopizzo. Trotzdem müssen Colajanni und Vertreter von Addiopizzo harte Überzeugungsarbeit leisten, bis sich ein Unternehmen auf die Liste setzen lässt. 80 Prozent aller Betriebe auf Sizilien, so offizielle Schätzungen der Händlerverbandes Confesercenti, zahlen noch Schutzgeld: Ein neues Geschäft zu eröffnen, "kostet" einmalig etwa 5000 Euro, eine Baustelle 10.000. Selbst Straßenhändler müssen laut Confesercenti im Monat im Schnitt 60 Euro an den Schattenstaat entrichten, größere Geschäfte oder Mittelklasse-Hotels etwa 700 Euro. Angst, Einschüchterung und Gewalt – aus diesem System auszubrechen, wagen die wenigsten.
David gegen Goliath
Dagegen wirkt der Kampf von Addiopizzo wie ein Mückenstich und im ländlichen Sizilien ist eine Bewegung wie Addiopizzo noch immer nicht denkbar. Auch in Palermo bewegen sich die Initiatoren noch auf schmalem Grat: Einerseits müssen sie öffentlich sichtbar sein, andererseits bedeutet das für den Einzelnen oft Lebensgefahr. Immerhin: Fast 9000 Palermitaner haben sich per Unterschrift dazu bekannt, die Mitglieder von Addiopizzo zu unterstützen. Eine neue Idee: Denn zu den Methoden der Mafia gehört es, diejenigen, die sich ihr widersetzen, per Boykott zu ruinieren. Addiopizzo tut das Gegenteil. Wer kein Schutzgeld zahlt, wird durch aktiven Konsum unterstützt.
Von Maximilian Moesch