„Wenn eine Frau auf sich gestellt ist, müssen die anderen ihr helfen“, das ist eine alte afghanische Tradition. Es ist eine Tradition, die sich nirgendswo anders besser verdeutlichen lässt, als in Zanabad, einer illegalen Siedlung auf einem Hügel im Osten Kabuls, weit außerhalb der Hauptstadt. Hier auf dem „Hügel der Witwen“ nehmen die Frauen ihr Schicksal selbst in die Hand, suchen Zuflucht vor Diskriminierung: In selbst gebauten, einfachen Lehmhütten, zwischen Schlammwegen und steilen Abhängen, leben so über 500 Frauen mit ihren Kindern in einer einzigartigen Gemeinschaft, in der sie sich gegenseitig helfen und schützen. Es ist ein Ort, der ihnen zwar kein schönes, aber jedoch ein sicheres Leben bietet, ohne Angst vor Diskriminierung und Missbrauch – etwas, was in Afghanistan viel wert ist für Witwen.
Die Stellung der Frau in Afghanistan
„Wenn Du in Afghanistan ohne Mann bist, kann dich jeder schlecht behandeln, Du wirst beschimpft, obwohl Du gar nichts gemacht hast“ – Erzählungen wie diese sind typisch für die traditionelle Gesellschaft in Afghanistan. Hier gilt: Eine afghanische Frau gehört zuerst ihrem Vater, nach der Heirat gehört sie ihrem Mann. Verlieren die Frauen jedoch ihren Mann, werden sie wie Aussätzige behandelt - nicht selten werden sie daher auch als „deg besarposch“, einem Deckel ohne Topf, beschrieben. Für viele Witwen war die Flucht auf den Hügel daher der letzte Ausweg.
Die Geschichte der illegalen Siedlung der Witwen gilt auch als Spiegelbild der Kriege in Afghanistan: Die ersten Frauen, die vor ungefähr 30 Jahren auf den Berg zogen und dort eine neue Heimat fanden, verloren ihre Männer im Krieg gegen die sowjetische Besatzung. Es folgten die Frauen, die ihre Männer entweder im Konflikt der Muhadscheddin verloren, oder später im Krieg gegen die USA. Heute sind es die Taliban, die Tag für Tag das Land mit Terror überziehen und deren Angriffe Witwen und Waisen hinterlassen – jeden Tag werden es mehr. So schätzt die UN in einem Bericht – bei einer Einwohnerzahl von rund 30 Millionen - die Anzahl der Witwen auf rund zwei Millionen.
Die Hilfe vom Staat bleibt meist aus
Hilfe vom Staat können die Frauen im kriegsgebeutelten Land nicht erwarten: Die zuständigen Ministerien sind schlecht organisiert, es mangelt an Geld und Fachwissen. Hinzu kommt: Die Witwen wissen meist selbst nicht, dass sie einen Anspruch auf Hilfe haben und wenn, werden sie oftmals mit einer kleinen Einmalzahlung fortgeschickt.
Die Witwen auf dem Hügel verlassen sich in ihrem Überlebenskampf sowieso nicht mehr auf den Staat: Sie helfen sich gegenseitig, versuchen sich mit einfachen Jobs über Wasser zu halten und vertrauen auf ihre alte Tradition: den Zusammenhalt. Dieser ermöglicht es ihnen zumindest ein Leben in Stolz zu führen – und das in einer männerdominierten Gesellschaft, die genau dies versucht zu verhindern.