Der Sather Tower der amerikanischen Elite-Universität Berkeley ragt weit sichtbar über die Dächer der Fakultäten, sein Glockenklang wie eine stetige Erinnerung an die geschichtsträchtige Bedeutung des Campus. Hier in Kalifornien ist man geübt darin, Geschichte zu schreiben. Denn: Hier entstand 1964 das „Free Speech Movement“. Wie damals droht auch heute Amerikas Universitäten ein Kulturkampf. Nur diesmal ist es die Rechte, die die Eliten angreift und den gesellschaftlichen Konsens in Frage stellt. Fällt rechtspopulistische Hetze noch unter Redefreiheit? Liberale und republikanische Lager stehen sich in der „Free Speech Week“ unversöhnlich gegenüber.
Hetze oder Redefreiheit?
Initiiert wurde die Woche der Redefreiheit von der studentischen Gruppe „Berkeley College Republicans“, die schon im Februar einen Versuch unternommen hatte, ähnliche Veranstaltungen zu organisieren. Ziel sei es, in einem gespaltenen Amerika die verhärteten Fronten zwischen Republikanern und Liberalen aufzulösen und beide Lager wieder an einen Tisch zu bewegen, so die Organisatoren. Zu diesem Zweck waren unter anderem der ehemalige Trump-Chefstratege Stephen Bannon, der ultrarechte Blogger Milo Yiannopoulos und die rechtskonservative Kolumnistin Ann Coulter als Gäste eingeladen worden.
Kritiker forderten die Universitätsleitung dazu auf, die Veranstaltung abzusagen, um Hass schürenden Rednern keine Plattform zu bieten. Kanzlerin Carol Christ wies diese jedoch entschieden zurück. Zur Redefreiheit gehöre auch das Zulassen von intoleranten und rassistischen Meinungen. Christ betonte in einem Brief, dass Gegendemonstrationen, insofern diese friedlich verliefen, allerdings erwünscht seien. Die Universität hat mehr als 800.000 Dollar für Sicherheit ausgegeben, damit es nicht zur Gewalt zwischen Rechten und Linken kommt.
Schwere Ausschreitungen in der Vergangenheit
Bereits im Februar dieses Jahres sorgte die Universität für Schlagzeilen, als Milo Yiannopoulos einer Einladung der „Berkeley College Republicans“ nachkam und eine Rede auf dem Campus halten wollte. Seinem geplanten Auftritt gingen gewaltsame Proteste voraus, die Veranstaltung wurde aus Sicherheitsgründen abgesagt. Yiannopoulos ist in den USA für seine radikal populistischen Ansichten bekannt. Er arbeitete bis zum Februar 2017 als Journalist für die rechtsorientierte US-Nachrichtenwebsite „Breitbart News“ und ist Gründer der Wahlkampfbewegung „Gays for Trump“. Eine rechtsextreme Stilikone, der das Recht auf Redefreiheit in Amerika missbraucht. Feminismus ist Krebs, Muslime sind Terroristen, sagt er. Jeder Satz soll wehtun.
Im Vorfeld haben bereits mehr als 170 Universitätsmitarbeiter und Dozenten die Studenten zum Boykott der „Free Speech Week“ aufgerufen, da die Sicherheit der Studierenden nicht gewährleistet werden könne. Die Botschaft: ein „Klima der Bedrohung“ soll keine Unterstützung finden. Am Samstag, den 23. September, ließ die Universitätsleitung durch einen Sprecher die Absage der „Free Speech Week“ verkünden. Ein expliziter Grund wurde nicht genannt. Yiannopoulos hingegen kündigte an, wie geplant am Donnerstag auf dem Campus aufzutreten.
Die Wurzeln des einst so revolutionären „Free Speech Movement“ sind mit Trumps Auftreten auf der politischen Bühne und dem Erstarken der Alt-Right-Bewegung wieder dorthin zurückgewachsen, wo sie einst ihren Ursprung fanden. Von einem Absterben kann jedoch noch lange keine Rede sein.
von Leonie Jungen